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3. Die sechzehn Grundsätze des Städtebaus und die Realität der sozialistischen Moderne

Als am 27. Juli 1950 die neuen Grundsätze der Stadtplanung durch die SED verabschiedet wurden, hatten die Bauarbeiten an der früheren Frankfurter Allee bereits begonnen. Zu jenem Zeitpunkt aber, ließ die Wende in der Architekturpolitik bereits erste Konsequenzen erkennen. Dieser Wandel war gekennzeichnet durch die Schaffung einer von der SED kontrollierten Institution, dem Ministerium für Aufbau und einer Orientierung des Aufbauprogrammes an der Sowjetunion. Die nach den Plänen Scharouns initiierte Dezentralisierung der Stadt, die Schaffung von Wohnzellen und Verbindungsstrassen (Kollektivplan), wurde aufgehoben. Die bereits im Bau befindlichen Gebäude wurden zwar fertig gestellt, aber es sind keine weiteren Grundsteinlegungen für eine Wohnzelle erfolgt. So ist die Wohnzelle Friedrichshain nie vervollständigt worden und blieb eine Idee.
Die erste Umsetzung des Planes zur Neugestaltung der Stadt begann Ende 1949. Die Siegermächte hatten sich zu diesem Zeitpunkt bereits immer mehr voneinander getrennt. Es entstanden zwei deutsche Staaten und auch Berlin war eine geteilte Stadt. Zumindest waren so die Pläne einer Neugestaltung Gesamtberlins gescheitert. Die Idee der Wohnzelle wurde im Osten der Stadt zwar noch in Angriff genommen, aber auch hier später nicht vollendet.
So war Ende 1949 erst einmal mit dem Bau einer Wohnzelle im stark zerstörten Stadtteil Friedrichshain begonnen worden. Auf einer Fläche von etwas weniger als 30 Hektar sollten südlich der Frankfurter Allee, zwischen Warschauer- und  Fredersdorfer Strasse 1900 Wohnungen entstehen. Geplant war die erste Einheit mit ein- und mehrgeschossigen Häusern, sozialen Einrichtungen und Geschäften.
Tatsächlich entstanden aber nur wenige Gebäude. So wurden zwei in der Tradition des Modernen Bauens konzipierte Laubenganghäuser, nach den Plänen Scharouns direkt an der Allee, westlich des Frankfurter Tores errichtet. Südlich dieser Gebäude wurden noch einige viergeschossige Wohnhäuser gebaut. Das war in den Jahren 1949/50. Von diesem Zeitpunkt an sollten monumentale Großbauten das Gesicht der Allee formen. Walter Ulbricht äußerte sich über die Wohnzelle am 31. Oktober 1951 wie folgt: "Der Fehler bestand in der formalistischen Konzeption einer "Bandstadt",[...] der Überbetonung der Verkehrsfrage, der Konstruktion von sogenannten Wohnzellen mit ihrer Gleichförmigkeit, die in allen Stadtbezirken angelegt werden sollten und in Widerspruch zu dem organischen Aufbau der Stadt stehen würden..." (Ulbricht 1951, zit. bei Schätzke 1991, S.144). Die Weichen waren gestellt. Die sozialistischen Machthaber verfolgten andere Pläne. Eine Strasse für große Aufmärsche und Demonstrationen sollte den Mittelpunkt der Hauptstadt bilden. Dazu passend musste auch die Bebauung neu konzipiert und nach sowjetischen Vorbild ausgerichtet werden. Der DDR-Architekt Kurt Liebknecht schrieb dazu im April 1953: "Genosse Ulbricht forderte von den Genossen Architekten, endgültig mit ihren grundfalschen Auffassungen zu brechen und zu einer folgerichtigen Anwendung der Prinzipien einer realistischen Architektur auf der Grundlage der sowjetischen Architektur überzugehen." (Liebknecht 1953, zit. bei Schätzke 1991, S.157).
Der Bruch mit den Nachkriegskonzepten vollzog sich Mitte 1951, als sich die Partei und Staatsführung unmittelbar in die Planung einschaltete. Es sollte eine Demonstration der Stärke des Sozialismus werden, die Architekten und Planer mussten sich den Wünschen der Partei fügen und unterordnen. Die neuen Grundsätze fanden erstmals verstärkt in der Hauptstadt ihre Anwendung.
Die Planung sah den Bau von monumentalen sieben- bis neungeschossigen Wohnblocks vor. Die Wohnungen sollten dem modernsten Standard entsprechen und mit Bädern, Zentralheizung und Warmwasserversorgung ausgestattet werden. Aufzüge und Balkone, sowie Geschäfte und Gaststätten in den beiden ersten Etagen, sollten den Bau komplettieren. Grundlage dafür waren Bauten nach sowjetischem Vorbild.
Am 3. Februar 1952 wurde die Grundsteinlegung durch den damaligen Ministerpräsidenten der DDR, Otto Grotewohl, vollzogen und Ende des gleichen Jahres waren die ersten Wohnungen bezugsfertig. Der Druck auf die Planer und Bauarbeiter nahm ständig zu und entlud sich am 16. und 17. Juni 1953 in Massenprotesten gegen die Erhöhung der Arbeitsnormen. Die Steigerung des Arbeitstempos führte zu einem Aufstand der letztendlich blutig niedergeschlagen wurde.
Obwohl die meisten Blöcke bis Ende 1953 fertig gestellt worden waren, zog sich der Bau der Gebäude entlang der Stalinallee bis 1958 in die Länge. Grund hierfür waren ständige Engpässe in der Versorgung der Baustellen mit Material.
Die Einleitung zu den sechzehn Grundsätzen des Städtebaus von 1950 sollte die Ausrichtung auf den Aufbau ganz Deutschlands demonstrieren. Noch galt das Zusammenwachsen eines gemeinsamen Deutschlands nach sozialistischem Muster als Möglichkeit. Die Ziele waren klar gesteckt und wurden in sechzehn Punkten zusammengefasst.
Inwieweit ließ sich aber die Theorie der Grundsätze mit der Realität bei der Bebauung der Stalinallee in Einklang bringen? Widersprachen die Bebauungspläne von Hans Scharoun den Leitlinien so sehr, dass die gesamte ursprüngliche Konzeption verändert werden musste? So heißt es im letzten Abschnitt des 3. Grundsatzes: "Die Bestimmung und Bestätigung der städtebildenden Faktoren ist ausschließlich Angelegenheit der Regierung." und im ersten Abschnitt des 6. Grundsatzes: "Das Zentrum bildet den bestimmenden Kern der Stadt." (Die sechzehn Grundsätze des Städtebaus, 1950, bei Werner 1978, S.134). Damit waren die Kompetenzen der Entscheidungsträger und eines der Hauptziele  klar definiert worden. Diese Tatsachen bildeten die Voraussetzung zur Umstrukturierung der Pläne und zum Abbruch des Vorhabens Wohnzelle Friedrichshain. So war es aber vor allem eine politische Entscheidung und keine städtebauliche Notwendigkeit den Bau der Wohnzelle abzubrechen und als Ersatz monumentale Bauten nach sowjetischen Vorbild an der Stalinallee zu errichten. Die repräsentative Ausstrahlung war vorrangig, obwohl diese Lösung mehr Kosten bedeuten sollte. Der Kostenfaktor wird letztendlich aber zum Ausschlag gebenden Punkt bei weiteren Bauvorhaben in der DDR.
Aber dieser Aspekt widerspricht den Grundsätzen nicht unbedingt, zumindest nicht dem primären Anliegen, obwohl sich hier ein deutlicher Widerspruch zwischen dem Ziel und der Umsetzung, besonders was die Finanzierung betrifft, aufzeigen müsste. Aber im Punkt 6 wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass das Zentrum der Stadt mit wichtigen monumentalen Gebäuden zu bebauen sei. Dort sollen auch politische Demonstrationen und Aufmärsche stattfinden.
Friedrichshain bildete das neue Zentrum Ostberlins, der Hauptstadt der DDR, der ein besonderer Status zuerkannt worden ist (Grundsatz 3). Um auf die Aufgabe des städtischen Zentrums zurück zu kommen, werden in Grundsatz 6 und 9 die Ideen der Dezentralisierung der Stadt (Kollektivplan) negiert. Die Plätze, Hauptstrassen und die beherrschenden Gebäude sollten das Antlitz der Stadt widerspiegeln ( Vgl. Grundsatz 6, 1950, bei Werner 1978, S.134). In Punkt 5 wurde darauf hingewiesen, dass die historisch entstandene Struktur der Stadt, trotz der Beseitigung ihrer Mängel, weiterhin den Grundriss bilden sollte. Natürlich stellt sich hier die Frage, ob das Konzept der Wohnzelle diesen Punkt hätte erfüllen können. Wahrscheinlich nicht. Wie aber vereinbaren sich die Monumentalbauten mit Grundsatz 1 und 14, die den nationalen Charakter des Bauens fordern?
Als sicher gilt, dass nach 1950 die Ausrichtung der DDR an der Sowjetunion den traditionellen Charakter der Architektur änderte. Wie man diesen Wandel auch beurteilen möchte, fest steht, dass trotz der Einstellung der Arbeiten an der Wohnzelle Friedrichshain und der Neukonzeption der Bebauung das Hauptziel nicht aus den Augen verloren wurde. Die Schaffung von Wohnraum war weiterhin primäres Ziel und wurde stets verfolgt. Die Wirtschaftlichkeit spielte ebenso eine Rolle wie die Lebensqualität, deshalb wurden mehrgeschossige Häuser gefordert (Vgl. Grundsatz 13).
Wie sah es aber mit der logistischen Seite des Projektes aus? Die Grundsätze 15 und 16 gehen deshalb auch indirekt auf den bis zum Zusammenbruch der DDR omnipräsenten Mangel an Materialien ein. Die Realisierung von technisch und logistisch möglichen Projekten wurde in den Vordergrund gestellt. Damit wurde den utopischen Plänen der Neugestaltung der Stadt im Sinne des Kollektivplanes eine Absage erteilt. Hier endeten die Ideen Scharouns endgültig und unwiderruflich. Trotzdem waren auch die großen Wohnblöcke, die seit 1951 an der Stalinallee entstanden, nicht ohne Probleme zu errichten. Gebaut wurde in traditionellen Baumethoden, die Arbeitskraft der Maurer war deshalb Takt angebend. Die Ziegelsteine stammten größtenteils von den Trümmern der zerstörten und bereits abgerissenen Mietskasernen. Die verspielte Bauweise dieses ersten Bauabschnitts der Stalinallee vom Straußberger Platz bis zum Frankfurter Tor ließ sich nicht auf Dauer durchhalten. Der sogenannte Zuckerbäckerstil, der Begriff wurde von westlichen Medien geprägt, eine Mischung verschiedener Stilrichtungen, wurde in Berlin auch nur an dieser Stelle realisiert. Seit Ende der fünfziger Jahre ging man in der DDR immer mehr zum industriellen Bauen über. Dabei wurde der Aufbau von Gebäuden durch vorgefertigte und standardisierte  Teile realisiert, was eine Minimierung der Kosten und kürzere Bauzeiten ermöglichte.




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Quelle: Werner, F. (1978), Seite  134 f.



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