
1000 Jahre alte Schriften gefunden
Bedeutsame Funde vor Staudammüberflutung gerettet
Bei der Ausgrabung einer Kirche aus dem 10. Jahrhundert im Nordsudan
machten Archäologen der Humboldt-Universität einen sensationellen Fund:
Sie entdeckten eine fast vollständig erhaltene Pergamentseite mit der
Predigt eines Kirchenvaters. Eine erste Bearbeitung des ungewöhnlichen
Textes ergab, dass er das Problem des Ehebruchs diskutiert. Der Autor
argumentiert, dass auch ältere und mächtige Männer dem Schuldspruch
wegen dieser Sünde nicht entgehen sollten. In diesem Zusammenhang führt
er aus, dass bereits König David wegen dieses Vergehens zu Recht von
den jungen Propheten Daniel und Nathan kritisiert wurde. Der Verfasser
zitiert nicht nur aus dem Alten Testament, sondern bedient sich auch
Anleihen aus der griechischen Philosophie.
Dass der Text rechtzeitig geborgen werden konnte, ist ein großer
Glücksfall. Die Grabungsstätte der Berliner Wissenschaftler liegt am
Vierten Nilkatarakt im Nordsudan, wo derzeit ein monumentaler Staudamm
gebaut wird. Er wird voraussichtlich 2009 in Betrieb gehen und 170 km
des Niltals für immer fluten. Seit 2004 arbeitet das Archäologenteam
der Humboldt University Nubian Expedition fieberhaft an der Erfassung
der archäologischen Stätten in der Region, die in Kürze in den Fluten
des neuen Stausees versinken und der weiteren Erforschung für immer
entzogen sein wird.
Außer dem "Ehebruch-Manuskript" entdeckten die Forscher bei der
Ausgrabung der Kirche auf der Nilinsel Sur mehrere hundert Fragmente
von Schriftstücken in Griechisch und Altnubisch auf Pergament und
Leder. Besonders wertvoll und selten sind auch zahlreiche Reste
lederner Bucheinbände mit ornamentalen Prägungen. Eine kleine
reliefierte Schieferplatte trägt eine Darstellung von Jesus und den
Symbolen der vier Evangelisten; sie schmückte vermutlich einen solchen
Bucheinband.
Die Textfunde stammen aus dem Sakristeiraum der Kirche, der auch
weitere bemerkenswerte Objekte enthielt. Neben Alltagsgegenständen, wie
einem massiven Schlüssel aus Kupfer, Bronze und Eisen, Knöpfen aus
Elfenbein sowie zahlreichen Perlen, kamen auch Teile der sakralen
Ausstattung zu Tage, darunter ein Glöckchen und ein kleiner Löffel aus
Eisen. In einem anderen Gebäudeteil wurde sogar eine Toilette aus
Keramik entdeckt. Mit einer Größe von ca. 17 x 15 m ist die Kirche von
Sur die größte, die bisher am Vierten Katarakt entdeckt wurde. Sie war
aus ungebrannten Lehmziegeln errichtet und besitzt den regional
üblichen kreuzförmigen Grundriss mit einer Apsis im Osten. Die
Innenräume waren mit Wandmalereien geschmückt, von denen zahlreiche
Fragmente erhalten sind. Holzpanele mit geschnitzten Ornamenten
gehörten ebenfalls zur Dekoration. Der Beleuchtung dienten kleine
Öllämpchen aus Keramik, die in großer Zahl gefunden wurden.
Ausgelaufenes Lampenöl, vermengt mit Sand, war an verschiedenen Stellen
auf dem Fußboden erhalten.
Nubien, die Region zwischen Assuan und Khartoum, war vom 6. bis zum
15. Jahrhundert christlich. Nach der arabischen Eroberung Ägyptens im
Jahr 641 n. Chr. waren Kontakte mit der Mittelmeerwelt und der
koptischen Kirche Ägyptens nur noch eingeschränkt möglich, und das
nubische Christentum nahm seinen eigenen Entwicklungsweg. Die nubischen
Kirchen illustrieren eindrucksvoll das religiöse Leben in diesem
abgelegenen Teil des Niltals. Während jedoch zahlreiche Kirchenbauten
bis in die Region des heutigen Khartoum bekannt sind, blieben Textfunde
außerordentlich selten. Die neu entdeckten Handschriften sind die
ersten seit vielen Jahren und versprechen reiche Informationen über den
religiösen Alltag einer ländlichen Gemeinde im Mittleren Niltal vor gut
1000 Jahren.
Weitere Informationen über den Fortgang und die Ergebnisse der
Humboldt University Nubian Expedition am Vierten Nilkatarakt finden
sich unter www.nubianexpedition.com und
www.daralmanasir.com.
Kontakt:
Prof. Dr. Claudia Näser und Daniela Billig M.A.
Humboldt-Universität zu Berlin
Seminar für Archäologie und Kulturgeschichte Nordostafrikas
Unter den Linden 6; 10099 Berlin
Telefon: 030 – 2093 4750
E-Mail: claudia.naeser@staff.hu-berlin.de
E-Mail: d-billig@web.de