Imagination - Evokation - Bild:


Reflexionsästhetische Dimensionen der Bild-Text-Beziehung in der italienischen Literatur


Tagung in Berlin
(3 Tage /8. - 10. Mai 2008)


Thema der Tagung



Trotz zahlreicher Versuche im Anschluss an den sogenannten iconic turn Anfang der neunziger Jahre - oft unter dem Begriff der Intermedialität(1) gefasst- sind die Prozesse der Imagination/ Evokation und die Rolle narrativer Techniken nicht vollständig geklärt.(2) Die Analyse der Formen und Funktionen der Interferenzen zwischen Bild und Text ist daher nach wie vor ein aktuelles Forschungsthema. Die Gründung der International Association for Word and Image Studies (IAWIS) unterstreicht die Bedeutung der Forschung über Bild-Text-Beziehungen. Gegenstand unseres Projektes ist die Analyse von Bild-Text-Beziehungen unter besonderer Berücksichtigung der italienischen Literatur der frühen Neuzeit und der Moderne/ Postmoderne, da diese Epochen von einer Kultur des Sehens bestimmt sind. Das Projekt möchte zeigen, wie Literatur die jeweiligen szientistischen, epistemologischen und ideologischen Diskurse übersteigt, indem sie über die Verschränkung von Bild und Text zu einer Sensibilisierung für das Visuelle führt. Grundlage des Projekts sind die in einer Ästhetik des Erscheinens entwickelten Einsichten von der ästhetischen Erfahrung als eine fokussierende Intensitätssteigerung am Objekt des Erscheinens(3), an dem sich eine sinnenfällige Verschränkung von Wahrnehmung, leiblicher Präsenz, Vergegenwärtigung der Lebenssituation und des menschlichen Daseins zeigt.

Ausgehend von einer Analogie zwischen ästhetischer Wahrnehmung und literarischer Vorstellungsbildung werden die Prozesse untersucht, die imaginäre Bilder anhand der sprachlichen Möglichkeiten der Evokation, der Imitation und Simulation des Bildhaften im narrativen Text hervorbringen. Es gilt deshalb darzustellen, wie und mit welchen Funktionen visuell-optische Textstrategien als illusions- und imaginationsbildende Prozesse das semiotische Zeichenmaterial in bildhafte Gegenwärtigkeit für den Leser verwandeln. In diesem Sinne schließt das Projekt an die neuesten Forschungen zu literarischen Illusionsbildungsprozessen an und bedient sich der in der Intermedialitätsforschung entfalteten Begriffe, die es zu prüfen gilt. Es nimmt die semiotischen Untersuchungen der Zeichenhaftigkeit auf, erweitert sie jedoch um phänomenologische und kulturhistorische Aspekte. Die in der Rezeptionstheorie und in der Semiotik der 80er und 90er Jahre vorherrschenden Überlegungen zur Wirkungsästhetik des Literarischen werden weiterentwickelt und deren Ausblendung der illusionsbildenden Verfahren überwunden. Auf der Grundlage dieser methodologischen Ausrichtung stehen drei Dimensionen der Bild-Text-Beziehung im Zentrum der Aufmerksamkeit:

1.) Formen visuell-optischer Textstrategien zur Inszenierung imaginärer Räume
2.) Figurative Repräsentationen in der Konstellation von Bildern im Text
3.) Kopräsenz von Bild und Text in ihren jeweiligen kulturhistorischen Dimensionen

Die Literaturwissenschaft besinnt sich damit auf die Möglichkeiten einer Wirkungsästhetik, die die Verschränkung von Wahrnehmungssituation, Vorstellungsbildung und Lebenssituation fokussiert, ohne auf die interpretative und reflexive Dimension ihrer Werke verzichten zu müssen. Forschungsgegenstand sind die Bild-Text-Beziehungen in literarischen Texten in Hinblick auf ästhetische und kognitive Prozesse, illusionsbildende Sprach- und Visualisierungsstrategien. Zudem ist das Spannungsverhältnis zwischen Bild und Text zu untersuchen. Sinnvoll ist eine Untersuchung der reflexionsästhetischen Dimensionen der Bild-Text-Beziehung unter der Orientierung von Imagination - Evokation - Bild jedoch nur, wenn sie all diejenigen kulturhistorischen Epochen der italienischen Literatur einbezieht, in denen das Postulat der Mimesis in traditionellem Sinne geschwächt ist. Das Projekt konzentriert sich entsprechend seiner Zielstellung auf drei Dimensionen der Bild-Text-Beziehung, immer in der Absicht, die Gesamtheit visueller Textstrategien und ihrer kulturhistorischen Dimensionen in der italienischen Literatur beispielhaft zu erfassen:

Jedes dieser drei Gebiete impliziert ein anderes Konzept des Begriffs 'Bild', den es jeweils zu präzisieren gilt. Mit dieser Konferenz möchten wir Ideen austauschen, diskutieren und die Theorien der imagery debate auf internationalem Niveau weiterentwickeln. Die Beiträge sollen anschließend in einem entsprechenden Tagungsband publiziert werden.


1. Vgl. z.B. Irina O. Rajewsky: Intermedialität, Tübingen 2002.
2. Aktuelle Titel wie B. Hüppauf, Chr. Wulf (Hg.): Bild und Einbildungskraft, Paderborn 2006 bestätigen dies.
3. Martin Seel: Ästhetik des Erscheinens, Frankfurt am Main 2003.