Aktuelles Projekt:
Das Jahr 1913. Eine medienhistorische Quellensammlung auf 2 DVD
Das Jahr 1913


Ausgangspunkt für die entstehende medienhistorische Quellensammlung waren eine Lehrveranstaltung meiner Kollegin Dorit Müller zum Thema und ein Buch, das im Frühjahr 1914 im Leipziger Teubner-Verlag erschien:

Das Jahr 1913
Das Jahr 1913


Der von David Sarason herausgegebene Sammelband unter dem Titel Das Jahr 1913. Ein Gesamtbild der Kulturentwicklung vereint prominente Namen aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft. Eduard Bernstein stellt die Politik der Sozialdemokratie im Jahre 1913 dar, Gertrud Bäumer schildert den Aufschwung der Frauenbewegung, Karl Lamprecht resümiert die Entwicklung in der Kulturgeschichte und Ernst Troeltsch referiert über die voranschreitende „chaotische Zerspaltenheit unsres Religionswesens“. 
Eine Übersicht über die „literarische Kunst“ des Jahres 1913 liefert Richard Moritz Meyer, ein Schüler Wilhelm Scherers und ausgewiesener Kenner der Materie. Verwunderlich und erklärungsbedürftig aber ist der Umstand, daß Richard Moritz Meyer – der sich in anderen Publikationen stets offen und interessiert zur Gegenwartsliteratur geäußert hatte – eine sehr spezifische Perspektive zur Literatur des Jahres 1913 einzunehmen scheint. Von den heute bekannten Texten, die im Jahr 1913 erschienen – etwa Gottfried Benns Gedichtsammlung Söhne oder Alfred Döblins Erzählband Die Ermordung einer Butterblume – findet sich kein Wort, expressionistische Zeitschriften wie Die Aktion oder Der Sturm werden nicht erwähnt. Georg Heyms 1913 posthum veröffentlichter Novellenband Der Dieb taucht ebenso wenig auf wie die im selben Jahr durch den Verleger Kurt Wolff zusammen mit Franz Werfel, Walter Hasenclever und Kurt Pinthus begründete Buchreihe Der jüngste Tag. Dagegen wird breit über Gerhart Hauptmanns 50. Geburtstag berichtet und ein „Triumph der Novelle“ konstatiert, der sich in Texten wie Jakob Wassermanns Der Mann von vierzig Jahren und Thomas Manns Tod in Venedig manifestiert habe. Ausführlich gewürdigt werden auch die Neuen Gedichte des heute nahezu vergessenen Wilhelm von Scholz und der Zyklus 1813 von Ernst Lissauer.

Möglicherweise findet diese befremdlich anmutende Wahrnehmung des Literaturjahres 1913 durch den zeitgenössischen Leser Richard Moritz Meyer eine Erklärung, wenn die Differenz zwischen dem unmittelbaren Blick des beteiligten Teilnehmers und dem retrospektiven Blick des späteren Beobachters berücksichtigt wird. Historische Distanz muß jedoch nicht bedeuten, daß der Blick des späteren Beobachters einen wie auch immer privilegierteren Status aufweist als die Wahrnehmung des zeitgenössischen Akteurs. Auch wenn die Dichte von Informationen über bestimmte Autoren, Verkehrsformen und Schreibverhältnisse mit wachsendem zeitlichen Abstand zunehmen kann, haben spätere Beobachter und Erforscher keinen per se „besseren“, „genaueren“ oder „weiteren“ Zugang zu ihren Forschungsgegenständen. Denn zwischen sie und die entschwindenden historischen Phänomene schiebt sich mit jeder dazu produzierten Textzeile eine weitere Schicht von Beobachtungen, Deutungen und Erklärungen, die ihrerseits den Blick in einer Weise modellieren, daß eine gleichsam „unverstellte“ Begegnung mit Texten oder anderen Artefakten kaum mehr möglich ist. Um es kurz und zugespitzt zu sagen: Wenn der zeitgenössische Beobachter Richard Moritz Meyer die literarische Welt des Jahres 1913 anders beobachtet, deutet und bewertet als späterer Literaturforscher, dann muß nicht unbedingt Richard Moritz Meyers Blickwinkel eingeschränkt und verengt sein. Er nimmt einfach andere Dinge wahr als ein späterer Beobachter, dessen Perspektive schon von vorfindlichen literaturgeschichtlichen Darstellungen und ihren mehr oder weniger expliziten Auswahl- und Wertungskritierien imprägniert ist.

Diese Differenz zwischen der Wahrnehmung des zeitgenössischen Beobachters und dem Blick des retrospektiven, von vorgängigen Auswahl- und Bewertungskritierien vorgeprägten Literaturforschers motivierte unser Unternehmen, mit den Mitteln des Speichermediums DVD den literarischen Reichtum des Vorkriegsjahres 1913 in seinem originalen Zustand zur Zeit seiner Entstehung zu erfassen und in einen wechselseitigen Kontext mit Entwicklungen in Fotografie, Bildender Kunst und Film zu stellen.


Das Jahr 1913

Die gegenwärtig entstehende DVD Das Jahr 1913. Texte, Bilder, Filme enthält in der Rubrik „Literarische Texte“ ausgewählte Einzelwerke, die als Einzelpublikationen im Jahr 1913 veröffentlicht wurden – von Gottfried Benns Gedichtsammlung Söhne über Franziska von Reventlows Roman Herrn Dames Aufzeichnungen bis zur Rilke-Biographie von Paul Zech. Sie enthält zum anderen den digital erfaßten Jahrgang 1913 ausgewählter literarischer Zeitschriften und Jahrbücher in gleichsam „zweifacher“ Form: Zum einen befinden sich auf der DVD die Beiträge als recherchierbare Volltexte; zum anderen die in hoher Auflösung digitalisierten Originalseiten dieser Zeitschriften, um die ursprüngliche Typographie und Seitengestaltung dieser Periodika und damit also auch den Ursprungs-Kontext der Einzeltexte zu bewahren.

Das Jahr 1913

In dieser Weise sollen auch zumindest zwei Tageszeitungen mit ihren Artikeln des Jahrgangs 1913 erfaßt werden. Gedacht ist dabei zum einen an die Vossische Zeitung, zum anderen an die Frankfurter Zeitung – doch stellt die Erfassung so großer Textmengen in Fraktur einen ziemlichen Aufwand dar, der noch nicht angegangen wurde. Bereits vorhanden sind philosophische und wissenschaftliche Schriften mit dem Erscheinungsjahr 1913: Von Walther Rathenaus 1913 erstmals erschienener (und im gelichen Jahr dreimal aufgelegter) Schrift Zur Mechanik des Geistes bis zu Werner Sombarts Abhandlung Der Bourgeois . Zur Geistesgeschichte des modernen Wirtschaftsmenschen . (Das für die Digitalisierung genutzte Exemplar des Sombart-Werkes stammt aus der Gerhart-Hauptmann-Bibliothek, die in der Handschriftenabteilung der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz am Potsdamer Platz aufbewahrt wird.)

Wie aus Titel und Inhaltsverzeichnis gleichfalls zu ersehen, wird die fertige DVD nicht nur Texte enthalten. In der Rubrik „Bilder“ versammelt sie zum einen fotographische Zeugnisse des Vorkriegsjahres 1913, das für die Geschichte des Mediums schon deshalb nicht ohne Bedeutung ist, weil in diesem Jahr durch den bei den Optischen Werken Ernst Leitz in Wetzlar angestellten Ingenieur Oskar Barnack die erste Kleinbildkamera der Welt entwickelt wurde. Dieser unter dem Namen „Leitz-Camera“ bzw. „Leica“ später berühmt gewordene Typ von fotographischem Aufnahmegerät markierte eine neue Epoche in der Mediengeschichte, da durch ihn eine bis dahin schon rein technisch unmögliche Flexibilität in der Erzeugung fotographischer Aufnahmen ermöglicht wurde. Die DVD wird – wenn alles gut geht – die ersten mit dieser Kleinbildkamera erstellten Bilder enthalten; zugleich natürlich auch zahlreiche andere Fotographien, bei deren Akkumulierung auf die schon vorhandenen grossen Sammlungen des York-Projektes zurückgegriffen werden kann. In der Rubrik „Bilder“ werden daneben Werke der Bildenden Kunst versammelt, die 1913 entstanden – vom Lichtgebet des als Fidus berühmt gewordenen Hugo Höppner bis zu Franz Marcs Turm der blauen Pferde . Schließlich gibt es noch die Rubrik „Filme“. Was hier digital bereitgestellt wird, ist mehr als nur „Füllmaterial“ für die immense Speicherkapazität einer DVD. Denn im Jahr 1913 entstand nach einem Buch von Hans Heinz Ewers der erste deutsche Autorenfilm Der Student von Prag (den Henrik Galeen 1926 gleich noch einmal verflmte). Von den überaus zahlreichen im Jahr 1913 realisierten Filme können jedoch nur die Werke aufgenommen werden, die erhalten und verfügbar sind: Bislang sind das die Streifen Der Andere von Max Mack und die von Max Reinhardt inszenierten, noch ziemlich theaternahen Filme Eine Venezianische Nacht und Die Insel der Seligen .

Wichtiger Hinweis:
Die zur Zeit entstehende DVD-Edition lebt von Hinweisen und weiterführenden Informationen. Wer Vorschläge zu Texten, Bildern oder Filmen hat , die eine Aufnahme verdienen, sollte sich bitte melden – ein Exemplar der materialreichen Silberscheiben als Dankeschön wird garantiert.