Systematisches und Exemplarisches. 
Überlegungen zum Schreiben von Wissenschaftsgeschichte 

Vortrag auf dem 1. Wissenschaftshistorischen Colloquium der Universität Hamburg,
7. Januar 2000

Über seinem Schreibtisch im Kaiser-Wilhelm-Institut für Zellphysiologie hatte Otto Warburg eine gerahmte Tafel hängen,auf der eine bekannte Senztenz Max Plancks zu lesen war: "Theorien setzen sich nicht deshalb durch, weil deren Gegner die eigenen Irrtümer einsehen,sondern nur weil diese Gegner aussterben." Warburg muß diesen Satz als eine Art Lebensmaxime angesehen und befolgt haben, denn als er 1970 starb, hatte er seine wissenschaftlichen "Gegner" Heinrich Wieland und Richard Willstätter um Jahrzehnte überlebt und glaubte den "Krieg" (so Warburg 1946 über die Kontroverse um die Atmungstheorie zwischen 1922 und 1929) gewonnen. Allerdings wissen wir heute, dass in dieser Debatte beide Seiten zumindest partiell Recht besaßen: Warburgs Theorie der Sauerstoff-Aktivation und Wielands Theorie der Substrat-Aktivierung sind in der gegenwärtig gültigen Theorie der biologischen Oxidation kombiniert.1

Nun möchte ich weniger dem Leben und Sterben wissenschaftlicher Kombattanten nachgehen, sondern vorerst dem in Plancks Aphorismus verborgenen Wissenschaftsverständnis. Folgen wir nämlich der Aussage, daß sich erst mit dem Sterben der "Gegner" die eigenen Auffassungen durchsetzen, ergibt sich ein ziemlich pessimistisches Bild von Wissenschaft: Weniger die intersubjektiv nachvollziehbaren Beobachtungen oder die mit "guten Gründen" vorgetragenen Erklärungen sind es, die so etwas wie "wissenschaftliche Rationalität" ausmachen, sondern biologische Bedingungen, denen auch die Träger von Wissensansprüchen unterworfen sind. Erkenntnisfortschritt - was auch immer darunter zu verstehen ist - lässt sich nach dieser Auffassung nicht auf die rationale Überzeugungskraft von Erklärungen zurückführen; die Anerkennung von wissenschaftlichen Geltungsansprüchen folgt vielmehr dem ehernen Gesetz des Lebens, das mit dem Tod ursprünglich verbunden ist.
Dennoch ist die scheinbar biologische Lösung des Fortschrittsproblems in der Produktion von Wissen nicht trivial. Denn mit der Rückführung des "Erfolgs" bestimmter wissenschaftlicher Theorien auf das Faktum des "Aussterbens" ihrer Gegner wird zugleich auch dem Umstand Rechnung getragen, dass die Weitergabe von Argumenten gegen die sich nun durchsetzenden Wissensansprüche offenkundig nicht gelang. Hätten nämlich die "aussterbenden" Kontrahenten ihre Auffassungen an die nachfolgende Wissenschaftlergenerationen vermitteln können, wäre die Durchsetzung, der Erfolg der alternativen Theorie nicht möglich gewesen - und damit auch nicht jener Prozess, den wir als Wissenschaftsgeschichte bezeichnen und erforschen.2

Wissenschaftsgeschichte - soviel lässt sich nach Plancks Diktum und in Übereinstimmung mit unseren Erfahrungen wohl sagen - stellt also ein prozessuales Geschehen dar, das mit der Produktion, Diskussion, Annahme und Ablehnung von Wissensansprüchen in historischen Zeit-Räumen verbunden ist. In der retrospektiven Rekonstruktion dieses Geschehens formiert die Wissenschaftsgeschichtsschreibung jene "Geschichte" (oder vielleicht besser: "Geschichten"), in denen Vorgänge und Resultate der Wissensproduktion fixiert, bestimmten Subjekten zugeschrieben und in noch näher zu erklärende Zusammenhänge und Verlaufsformen gebracht werden.
Worin aber bestehen die Vorgänge und Resultate der Wissensproduktion? Welche Parameter bzw. Kriterien erlauben uns, Veränderungen, "Fortschritt" und "Regression" in der Wissenschaftsgeschichte zu beobachten? Kurz: Mit welchen "Einheiten" lassen sich die komplexen Vorgänge in den disziplinär ausdifferenzierten Zweigen des modernen Wissenschaftssystems beschreiben, ordnen, vergleichen ?
Meine erste, noch relativ triviale These lautet: Die grundlegenden "Zeugnisse" der Produktion wissenschaftlichen Wissens und damit primäre Basis für die Tätigkeit des Wissenschaftshistorikers sind Texte. Als sprachliche Zeichensysteme fixieren sie die nach bestimmten Regeln gewonnenen Beobachtungen und Erklärungen und schaffen durch ihre Veröffentlichung einen Kommunikationszusammenhang zwischen Forschern. "Öffentliche" Texte, zum Zweck der Publikation in Organen des Wissenschaftssystems bzw. zum Vortrag vor einem (hoffentlich interessierten) Publikum verfertigt, aber auch private Schriften wie Briefe, Tagebücher und persönliche Reflexionen und "institutionelle" Texte wie Gutachten, Gegengutachten, Empfehlungen und Berufungsurkunden konstituieren das materiale Beziehungsgeflecht, das wir als "Wissenschaftssystem" kennen und in seiner historischen Dimension als "Wissenschaftsgeschichte" zu beschreiben suchen. Als materialisierte Resultate der Wissensproduktion (und zugleich als Zeugnisse der Vorgänge innerhalb des Sozialsystems Wissenschaft) stellen Texte das Ausgangsmaterial der wissenschaftshistoriographischen Beschäftigung dar und sind zugleich stets auch deren Produkt. Texte sind der Anfang, Texte sind auch der Endpunkt der Wissenschaftsgeschichtsschreibung und die Tätigkeit des Wissenschaftshistorikers besteht zuerst einmal darin, aus vorgefundenen Texten einen neuen Text zu machen.
Die zentrale Frage, die sich an diesen Truismus anschließt und die ich in meinem Vortrag in Ansätzen klären möchte, ergibt sich aus dem nicht unproblematischen Zusammenhang zwischen dem "Anfang" und dem "Ende" der wissenschaftsgeschichtlichen Vertextungsarbeit: In welcher Weise lässt sich der einzelne Text, also das erst einmal singulär und disparat auftretende Zeugnis wissenschaftlicher Praxis mit anderen Texten (wissenschaftlicher, politischer, öffentlicher Herkunft) so verknüpfen, dass sich Aussagen über allgemeine Muster der Formierung, Diskussion, Annahme oder Abweisung von Wissensansprüchen treffen lassen? Mit anderen Worten: Wie werden Aussagen über systematische Zusammenhänge der Wissenschaftsgeschichte – etwa über Schulen, Perioden, Einflüsse, über "Paradigmen" und "wissenschaftliche Forschungsprogramme" oder gar über "wissenschaftliche Revolutionen" – angesichts eines Universums disparater Texte möglich? Und andersherum, mit Blick auf die gängige Praxis der Eruierung von "Fällen" und "Fallbeispielen" durch die Wissenschaftsgeschichtsschreibung formuliert: In welcher Weise lassen sich aus detailliert erschlossenen Beziehungen zwischen einer begrenzten Menge einzelner Texten "exemplarische Episoden" zur Erhellung des "Ganzen" der Wissenschaftsgeschichte rekonstruieren – und welchen Nutzen haben diese Exempel für die Bestimmung wissenschaftlicher Rationalität und deren systematische Fundierung ?

Nur kurz sei auf die Folgen hingewiesen, die sich bei den zumeist implizit unterstellten Relationen von Texten und deren unhinterfragter Verfestigung zu wissenschaftsgeschichtlichen Zusammenhängen ergeben. So beginnt etwa eine vor kurzem veröffentlichte Studie über ein Zeitschriftenprojekt der 1860er Jahre mit dem Satz: "In der Wissenschaftsgeschichte der geisteswissenschaftlichen Disziplinen fehlt es bis heute an umfassenden Studien zur Rezeption des westeuropäischen Positivismus in Deutschland ebenso wie an gründlichen Rekonstruktionen all der Verbindungen, die der autochthone Historismus und der Positivismus miteinander eingingen."3
Die Begriffskombinationen "westeuropäischer Positivismus", "autochthoner Historismus" und "der Positivismus" repräsentieren hier wissenschaftsgeschichtlich relevante Konnexionen, deren Existenz in zeitlichen und räumlichen Bedingungen ohne weitere Reflexion vorausgesetzt wird. Mehr noch: Die Begriffsprägungen "westeuropäischer Positivismus" und "autochthoner Historismus" treten als Subjekte auf, die Allianzen und Verbindungen eingehen können, eine Rolle im historischen Prozess spielen und nun zur näheren Erforschung durch die Wissenschaftsgeschichtsschreibung freigegeben werden. Wie aber die Stiftung dieser übergreifenden Einheiten und deren Konzeptualisierung als geschichtsmächtige Subjekte zustande kommen; wie aus disparaten Texten systematische Komplexe der Wissenschaftsgeschichte werden – darüber geben weder die Texte der damals beteiligten Akteure noch die heutige wissenschaftshistorische Reflexion Auskunft.
  Noch einmal wiederhole ich die zentrale Frage meines Vortrages: Wie gelangen wir von individuellen Textvorkommnissen, in denen bestimmte Wissensansprüche formuliert werden, zu jenem zusammengesetzten, gegliederten und mehr oder weniger sinnhaft geordneten Ganzen, das wir als "Wissenschaftssystem" bezeichnen und in seiner historischen Entfaltung als "Wissenschaftsgeschichte" erforschen? Wie also werden Aussagen über systematische Zusammenhänge der Wissensproduktion angesichts singulärer bzw. exemplarischer Texte möglich?
Selbstverständlich kann eine Klärung dieser Frage nur in Anfängen und sehr skizzenhaft geschehen. Ohne Anspruch auf vollständige Erörterung aller hier möglichen Aspekte werde ich in drei Schritten vorgehen: In einem ersten Schritt sind die Spezifik des Ausgangsmaterials wissenschaftshistoriographischer Bemühungen – also die besondere Funktion und Organisation wissenschaftlicher Texte – und die sich daraus ergebenden Erkenntnismöglichkeiten zu umreissen. Daran anschliessend möchte ich Bedingungen für die Zusammenfassung wissenschaftlicher Texte zu "Textkorpora" und "Diskursen" aufführen, die den Reden von "Schulen", "wissenschaftlichen Forschungsprogrammen" und "Paradigmen" zugrundeliegen und so weitreichende Behauptungen wie die Feststellung von "Einflüssen", die Benennung von "Vorläufern" und das Ausrufen "wissenschaftlicher Revolutionen" erlauben. In einem dritten und letzten Schritt ist dann die Modellierung des Endprodukts – also die Herstellung des wissenschaftsgeschichtlichen Textes – zu beschreiben: Hier geht es um die Ordnung des historischen Areals an Hand der Konzepte "Subjekt", "Zusammenhang", "Verlaufsform". 


I
Der erste Schritt meiner Überlegungen betrifft das Ausgangsmaterial der Wissenschaftsgeschichtsschreibung: die vorfindlichen wissenschaftlichen Texte und ihre Funktionen und Organisationsprinzipien. Texte, so hatte ich eingangs formuliert, stellen die "Quellen" der Geschichtsschreibung dar; "wissenschaftliche Texte" als die materialen Medien der Fixierung, Publikation und Diskussion von Wissensansprüchen sind dementsprechend die primären Einheiten einer historischen Wissenschaftsforschung. Womit natürlich nicht behauptet ist, dass die Einheiten der Wissenschaftsgeschichtsschreibung nur aus Texten bestehen. In den Naturwissenschaften gehören u.a. Meßinstrumente, Laboreinrichtungen, Experimentalanordnungen dazu; in textinterpretierenden Disziplinen solche Entitäten wie "Autoren", "Konzepte" und "Methoden" – doch vor allem zu letztgenannten Phänomenen gibt es erst einmal keinen anderen Zugang als über Texte.

Texte können nun auf verschiedene Weise gelesen werden: Als "Nachricht" vermittelt ein Text Erkenntnisse über den Sachverhalt, von dem er spricht; als "Symptom" läßt er Erkenntnisse zu über den Autor, der ihn schrieb oder über die Zeit, in der er entstand; als "Gegenstand" vermittelt er Erkenntnisse über sich selbst, d.h. über seine Organisation und Strukturprinzipien.4 Da die möglichen Erkenntnisse ("sachbezogen", "autor-/zeitbezogen", "textbezogen") aus jedem Text in unterschiedlicher Dichte zu gewinnen sind und weder in einem Ausschließungsverhältnis stehen noch "vom Text selbst" vorgegeben werden, scheint in erster Linie das Erkenntnisinteresse über die "Prävalenz einer Ansicht" (Klaus Weimar) zu entscheiden und den methodischen Zugang zu bestimmen: Ein Historiker wird Texte vorrangig als "Nachricht" über Ereignisse lesen. Ein Literaturwissenschaftler liest Texte als "Symptom", d.h. mit Blick auf den Autor und seine Zeit und als "Gegenstand", d.h. mit Blick auf die Organisationsprinzipien des Textes selbst. Ein Wissenschaftshistoriker schließlich wird sich – wenn ihm denn der Nachvollzug von Geltungsansprüchen nicht gleichgültig ist – sowohl für den referentiellen Gehalt als auch für die zeitgeschichtlichen Umstände und die Person des Urhebers interessieren und auch die Textstrukturen, d.h. die Argumentations- und Darstellungsformen nicht vernachlässigen.

Entscheidend für die hier interessierende Verfassung wissenschaftlicher Texte und deren Verknüpfung sind also (a) die Funktion des Textes, Träger bestimmter Geltungsansprüche zu sein, (b) seine Einbettung in einen spezifischen Kommunikationszusammenhang und (c) seine von den Parametern "Funktion" und "kommunikativer Kontext" bestimmten Organisationsprinzipien.
Nur kurz zur näheren Bestimmung dieser Eigenschaften: Als Träger bestimmter (wissenschaftlicher) Geltungsansprüche tritt ein Text auf, wenn er Behauptungen formuliert, die Problemlösungsvorschläge unterbreiten. Entscheidend sind dabei neben dem Problembezug zum einen die Konditionierungen in der Formulierung von Geltungsansprüchen, zum anderen die (normierten) Formen ihrer Einlösung: Begrifflich eindeutige Aussagen und die argumentative Begründung behaupteter Geltungsansprüche sollen Plausibilität und intersubjektive Übereinstimmung innerhalb einer wissenschaftlichen Kommunikationsgemeinschaft sichern. 

Wissenschaftliche Texte wenden sich zweitens an eine bestimmte Adressatengruppe – also an Individuen, die sich aufgrund erworbener Zugangsrechte und institutioneller Bindungen als "Wissenschaftler" verstehen und durch die Arbeit an gleichen Problemen, durch Lektüre derselben Bücher und Zeitschriften und nicht zuletzt durch den Besuch gleicher Tagungen und Kongresse verbunden sind.
Diese nur angedeuteten Parameter der Funktion und Adressierung wissenschaftlicher Texte bilden die Grundlage für ihre Struktur und Funktionsprinzipien: Zur Präsentation methodisch gewonnener und auf intersubjektive Geltung zielender Wissensansprüche bedienen sich wissenschaftliche Texte spezifisch normierter Darstellungsformen.5 Überzeugungskraft (zum problemlosen Nachvollzug der dargestellten Wissensansprüche) gewinnen sie zudem aus der Verschränkung von Argumentation und Narration sowie aus "Geboten" und "Tabus" der wissenschaftlichen Sprechhandlung – etwa der Ablehnung metaphorischen und ironischen Sprechens, der Fingierung langfristiger Geltung durch Aussagen im Modus des überzeitlichen Präsens, der Invisibilisierung des (möglicherweise sehr verwickelten und von Irrtümern nicht freien) Erkenntnisweges und der präventiven Immunisierung gegen Einsprüche durch deren vorwegnehmende Artikulation und Entkräftung.6
Zugleich zeichnet sich jeder wissenschaftliche Text durch die Teilhabe an einem charakteristischen Repertoire von Symbolen und durch die Ausbildung eines "Netzes" von Referentialisierungen aus: Er nimmt Bezug sowohl auf den Untersuchungsgegenstand als auch auf die vorliegende Forschung – und das in einer "Sprache", die oft schon aufgrund des Vokabulars und der Formulierungsweisen einen Zusammenhang (etwa mit einer bestimmten "Schule", einem "Forschungsprogramm") suggeriert. Sichtbar (durch Zitation, Paraphrase, Hinweis in Fußnoten) und unsichtbar (durch nicht kenntlich gemachte Aufnahme von Textbruchstücken und Gedankengängen) mit anderen Texten "vernetzt"7, scheint der wissenschaftliche Text ein Moment im großen Kontinuum namens Wissenschaft zu sein. Doch dieser Schein trügt: Wissenschaftliche Texte sind, auch wenn sie in Beziehung zu anderen Texten auftreten, nicht die Elemente eines Kontinuums, nicht Momente eines geordneten Kosmos (der sich als ein sinnhaftes Ganzes der historischen Forschung allmählich enthüllen würde), sondern Stücke, deren systematische Beziehungen erst durch die interpretierenden Wissenschaftler bzw. durch die nachfolgende Wissenschaftsgeschichtsschreibung konstruiert werden. Selbstverständlich "weben" beteiligte Akteure mit jedem Hinweis, jeder Zitation, jeder eingefügten Fußnote an jenem "Netz", das wir als Bild für den komplexen Verweisungszusammenhang von Wissenschaft vor Augen haben – doch gibt es einige Argumente gegen die Vorstellung, systematische Beziehungen der Wissenschaftsgeschichte würden bereits durch die Autoren einzelner Texte konstituiert. Zum einen bestehen zwischen den einzelnen Texten als den disparaten "Stücken" eines Text-Universums nur in besonderen Fällen geschlossene Fundierungszusammenhänge wie zwischen "Teilen" als den "Momenten" eines Ganzen – etwa zwischen einem Werk und seiner Rezension oder zwischen "autoritativen", d.h. als Autorität in Anspruch genommenen Texten und ihren sie zitierenden und fortschreibenden Nachfolgern. Zwischen den "Stücken" der Text-Welt als den Teilen eines Ganzen, die separat und selbständig auftreten (und damit ebenso konkret sein können wie dieses Ganze) bestehen vielmehr Relationszusammenhänge; und entsprechend dieser Relationen ergeben sich unterschiedliche Strukturen.8 Zum anderen existieren zwischen Texten im historischen Areal nicht so sehr Beziehungen wie zwischen den Einzelelementen eines Textes: Sind die Bestandteile eines Textes mit dem gesamten Text so vorgegeben, dass sie durch ihre Relationsbeziehungen ein Ganzes bilden (und etwas wie "Sinn" auch ohne Berücksichtigung von Ko-Texten bereitstellen), so liegen mit den Textvorkommnissen des Wissenschaftssystems erst einmal nur disparate Stücke vor, die allein dann ein ("sinnhaftes") Ganzes liefern, wenn ein Interpret zwischen ihnen intertextuelle Verknüpfungen schafft.
Als Interpreten, d.h. als Schöpfer dieser intertextuellen Verknüpfungen kommen im Fall wissenschaftlicher Texte zwei professionelle Gruppen mit unterschiedlichen Interessenlagen in Betracht: Einerseits die im Kommunikationszusammenhang aktiven Wissenschaftler, die Antworten auf gemeinsame Problemlagen suchen bzw. ihre Kollegen/Konkurrenten beobachten; andererseits die ex post vorgehenden Wissenschaftshistoriker, die neben der Erinnerung an vergessene Wissensbestände auch die Formulierung allgemeinerer Aussage über die Formen der Wissensproduktion anstreben und in der Wissenschaftsgeschichte ein mögliches Korrektiv methodologischer Konzepte erblicken. Auf diesen Unterschied zwischen dem aktiven Wissenschaftler an der Front seiner Disziplin und dem Wissenschaftsgeschichtsschreiber, der in historischer Distanz das Geschehen beobachtet, wird später noch zurückzukommen sein.



II

Vorerst komme ich zum zweiten Punkt meiner Überlegungen: Zur Frage, wie sich angesichts disparater Textvorkommnisse Beziehungen zwischen ihnen – also zwischen wissenschaftlichen Texten wie auch zwischen wissenschaftlichen Texten und politischen Rahmenbedingungen oder zwischen wissenschaftlichen Überlegungen und kulturellen Kontexten – auffinden und beschreiben lassen. 
Von entscheidender Bedeutung sind dabei die Kriterien, mit deren Hilfe die einzelnen Textvorkommnisse untereinander verglichen und zu größeren Textgruppen zusammengeschlossen werden können. Als mögliche Merkmale kommen in den textinterpretierenden Wissenschaften folgende Aspekte in Betracht: 
(1) Ein erstes Vergleichs- und Kombinationsmerkmal wären Textgattungen und Texttypen: d.h. die Erscheinungsformen, in denen wissenschaftliche Texte auftreten: ob als wissenschaftlicher Artikel, Forschungsbericht, Monographie, Rezension etc.; als Kommentar, Interpretation, biographischer Abriß, Epochendarstellung usf.
(2) Ein zweites Vergleichsmerkmal stellen die Darstellungselemente bzw. die Strukturen des Textverlaufs dar. Hierunter fallen spezifische Formen, mit denen ein Wissen repräsentiert werden: ob als Beschreibung, als narrative Erzählung, als Statistik etc.
(3) Ein dritter Vergleichs- und Kombinationsparameter sind sprachlich-stilistische Merkmalskomplexe, unter die alle Formen der Sprach- und Textgestaltung zur Artikulation von Wissensansprüchen fallen: ob begrifflich-eindeutig; betont "künstlerisch" (etwa durch "hohe Sprache" und Verzicht auf Anmerkungsapparat); metaphorisch-verrätselnd etc.
(4) Als viertes und gleichwohl entscheidendes Vergleichs- und Kombinationsmerkmal fungieren semantische Tiefenstrukturen, die charakteristische Muster der Formulierung und Einlösung von Geltungsansprüchen bilden. Hier lassen sich die kausale Erklärung wie die intuitiv einfühlende Darstellung nennen, die deduktive Ableitung wie der induktive Schluss; auch an die Erhebung statistischer Daten und deren Deutung ist zu denken.

Diese vier Kriterien gestatten es, Textvorkommnisse zusammenzufassen und zeitlich zu situieren. Von Bedeutung dabei ist, dass sich in einer Zeitphase nicht alle, sondern nur bestimmte Teilmengen der Möglichkeiten wissenschaftlichen Sprechens beobachten lassen. Zahlreiche Faktoren wie "Erfolg", Gruppenbildung durch Solidarisierung, universitäre Sozialisation u.a. schaffen mit der Limitierung von wissenschaftlichen Vertextungschancen die Struktur eines "Verbundes", der seinen eigenen Regeln und Strategien zu folgen scheint. Diese scheinbare Autonomie ist es wohl, die dem Wissenschaftshistoriker die systematische Zusammenfassung von Texten zu "Textkorpora" und "Diskursen" und damit auch die Reden von "Schulen", "wissenschaftlichen Forschungsprogrammen" und "Paradigmen" gestattet und zu deren Erklärung wissenschaftsphilosophische Theorien heranziehen läßt – obwohl doch zahlreiche Einzelfallstudien immer wieder die Inkompatibilität von systematisch entwickelten Modellen wissenschaftlicher Rationalität und historischer Praxis zeigen.


III 
Ist ein Textkorpus entsprechend der oben genannten Aspekte (Gattung/Typik, Textverlaufsform, Sprache und semantische Tiefenstrukturen der Formulierung und Einlösung von Wissensansprüchen) zusammengestellt und einer Zeitphase zugeordnet, beginnt die eigentliche und entscheidende Tätigkeit des Wissenschaftshistorikers: Die Modellierung eines neuen Textes. Dieser neue Text als das Produkt der Lektüre "alter" Texte soll (trotz seiner Begrenztheit durch Anfang und Ende, seiner seriellen und immer durch Auswahl des Aussagbaren bestimmten Verfassung) stets mehr sein als die Summe seiner Teile und dabei ein Problem lösen, über das sich der historische Wissenschaftsforscher nicht selten eher im unklaren ist. Sicher scheint er sich darin zu sein, die rezipierten Texte in einer höheren Ordnung aufzuheben und "sinnhaft" zu ordnen – und deshalb führt er (= also der ex post vorgehende Wissenschaftshistoriker) in das historische Areal die Konzepte "Subjekt", "Zusammenhang" und "Verlaufsform" ein.
Den grundlegenden Organisationsfaktor historischer Texte - Klaus Weimar hat mehrfach darauf hingewiesen - stellt dabei das Konzept "Subjekt" dar. Alle Ereignisse des zu beschreibenden historischen Geschehens werden auf diesen zentralen Bezugspunkt ausgerichtet; in der Auswahl, der Kombination und der narrativen Vertextung der Geschehensmomente wird seine – des Subjekts – Geschichte erzählt. Als "Subjekte" figurieren in der Wissenschaftsgeschichtsschreibung dabei nicht allein die durch biographische Daten identifizierbaren Forscher und akademischen Lehrer, sondern vor allem auch unpersönliche Subjekte wie etwa die schon mehrfach genannten Begriffsprägungen "westeuropäischer Positivismus" und "autochthoner Historismus", "Geistesgeschichte" und "werkimmanente Interpretation". Unpersönliche Subjekte können aber auch wissenschaftliche Kontroversen sowie Bücher und Zeitschriften sein. Aufschlußreich ist nun, dass diese unpersönlichen Subjekte als Entitäten selbst erscheinen, zugleich aber vielfach vertreten werden – so in der Form von personalen Repräsentanten, in der Form von exemplarischen Texten oder durch Indizien. So agieren etwa Auguste Comte und John Stuart Mill als personale Repräsentanten des "westeuropäischen Positivismus", Mills System of Logic gilt als einer seiner exemplarischen Texte, Mikrologie und induktive Schlussprinzipien auf der Basis partikularer Analysen sind dann der Beleg für eine "positivistische" Wissenschaftsauffassung. 
Andererseits kann das "unpersönliche Subjekt" der wissenschaftsgeschichtlichen Erzählung und sein Wirken auch durch illustrierende Hinweise markiert werden: Informationen über Karriereverläufe und Lehrstuhlbesetzungen dienen gleichzeitig als Beleg für die Präsenz einer wissenschaftlichen Schule im universitären Raum. Auf die strategischen Funktionen dieser "Subjekte" und ihrer unterschiedlichen Manifestationen kann hier nur kurz hingewiesen werden: Sie stellen eine Verbindung zwischen synchronen Geschehensmomenten her und machen allgemeine Strukturen in der Wissensproduktion sichtbar – vielfach durch die Rekonstruktion eines ex ante zumeist nicht explizierten "Forschungsprogramms" oder "Paradigmas", das so etwas wie Identität zwischen Texten stiftet. Die genannten "Vertreter" – also personale Repräsentanten, markante Texte oder Indizien – exemplifizieren dann einen Zusammenhang, der ja per se nicht selbstverständlich ist.
Die Einführung des "Subjekts" stellt einen Zusammenhang synchroner Art her; der zweite Organisationsfaktor schafft einen Zusammenhang auf der Zeitachse der Wissensproduktion. Die Bildung von Konsekutionen zwischen dem "Anfang" und dem "Ende" bestimmter wissenschaftshistorischer Konstellationen ordnet die Geschichte des "Subjekts" in der chronologischen Weise des "Vorher"-"Nachher" und strukturiert sie nach bestimmten Mustern, wie wir sie aus Beispielen der Wissenschaftsgeschichtsschreibung kennen: Das ‚physikalistische’ Konzept von Ursache und Wirkung bringt etwa "wissenschaftsexterne" und "interne" Faktoren in eine Verbindung – so wie es etwa mit einigem Furor Paul Forman in seiner Erklärung der Quantenmechanik aus dem Geist der Weimarer Republik getan hat.9
Das logisch-psychologische Konzept von Grund und Folge liegt z.B. den Beschreibungen von wissenschaftsinternen "Einfluß"- und "Austausch"-Beziehungen zugrunde, aber auch der Rekonstruktion der Beziehungen von wissenschaftlichen Intentionen und ihren intendierten/ kontraintendierten Folgen. 10 Telelogisch operiert dagegen das Konzept von Verheißung und Erfüllung, das beispielsweise "Vorläufer" von bestimmten "wissenschaftlichen Forschungsprogrammen" aufzufinden sucht oder aber in später erfolgreichen Paradigmen die "Einlösung" seinerzeit ignorierter Überlegungen erkennen will – hier wäre an die zahlreichen Fallstudien zu Gregor Mendel als dem angeblichen Vorläufer der Genetik und der Wiederentdeckung seiner "Gesetze" durch Hugo de Vries, Carl Correns und Erich Tschermak um 1900 zu denken. 
An ethischen, z.T. juristischen Kategorien orientiert ist schließlich das Konzept einer moralischen Ordnung und Bewertung von Wissensansprüchen, wie es in der ideologiekritischen Aufarbeitung von Wissenschaftsgeschichte anzutreffen war (und ist) – hier werden wissenschaftsinterne Prozesse mit ihren gesellschaftlichen "Auswirkungen" korreliert und "schuldige" Akteure nachträglich verurteilt.11
Wichtig und zu betonen ist noch einmal, dass die vier genannten Konzepte zur Stiftung von Zusammenhängen (Ursache-Wirkung, Grund-Folge, Verheißung-Erfüllung, Schuld-Sühne) keineswegs ausschließlich und in Reinform auftreten: Jede Erzählung von Wissenschaftsgeschichte bedient sich dieser Plots freigiebig und oftmals in kombinierter Weise.
Von zentraler Bedeutung für die Konstruktion systematischer Beziehungen aber ist zuletzt die Einführung des dritten Organisationsfaktors, der in die Geschichte wissenschaftlicher Kommunikation ein Telos, eine Richtung bringt. Dazu werden die aus Textvorkommnissen konstituierten wissenschaftshistorischen Konstellationen zeitlich gegliedert – etwa durch Aufteilung einer Kontroverse in eine "Früh-" und eine "Spätphase" oder durch die retrospektive Formulierung eines ex ante nicht vorhandenen "Forschungsprogramms" und die Beobachtung seines "Erfolgs" über einen bestimmten Zeitraum – und in Bezug zu Konzepten der Verlaufsform wie "Wandel", "Entwicklung", "Fortschritt", "Wachstum", "Verfall" gebracht. Diese Verlaufskonzepte verfestigen nicht allein den Zusammenhang einer seit der frühen Neuzeit historisch-prozessesierend gedachten Veranstaltung namens "Wissenschaft" durch die Ordnung von "Anfang" und "Ende", sondern bilden zugleich auch den Schlußstein für die Herstellung systematischer Folgerungen. Denn wie kein anderes Phänomen der modernen Wissenschaft hat die fortwährende Veränderung – die Variation wie der diskontinuierliche Bruch – die Wissenschaftsgeschichtsschreibung bewegt. Indem nun disparate Textvorkommnisse zusammengefaßt, persönlichen bzw. unpersönlichen "Subjekten" zugeordnet und entsprechend der Zusammenhangskonzepte und Verlaufsformen qualitativ verzeitlicht werden, lassen sich auch inkommensurable Züge in der Produktion von Wissenschaftsansprüchen auf einen Nenner bringen und vergleichen – obwohl doch die damit verbundenen Purifizierungen mehr als zu denken geben müßten.
Auf die Schwierigkeiten einer historischen Wissenschaftsforschung mit systematischem Anspruch kann hier nur äußerst knapp hingewisen werden: Die Herstellung von Zusammenhängen zwischen einzelnen Textvorkommnissen sieht sich einerseits einer inhomogenen Datenbasis gegenüber (so können Texte bzw. Textbestandteile unbekannt, unzugänglich oder verloren sein; vorhandene Texte sind in ihren informativen Gehalten ungleichmäßig verteilt); andererseits gibt es keine sicheren Indikatoren zur Bestimmung von Einflüssen und Wirkungen zwischen Textvorkommnissen.12


Als mögliches Fazit liegt also zuerst ein Hinweis auf die Risiken im Umgang mit Systematisierungen beim Schreiben von Wissenschaftsgeschichte nahe. Aus disparaten Texten und ihren Bezügen zu anderen Texten schafft die Wissenschaftsgeschichtsschreibung eine hoch aggregierte symbolische Struktur, die in ihrem Status nicht mit dem ‚realen‘ Geschehen gleichgesetzt werden darf. Jede noch so materialgesättigte Einzelfallstudie, jede noch so detailliert vorgehende Untersuchung zu einer Episode der Wissenschaftsgeschichte liefert ein purifiziertes Bild, das vor allem in Verbindung mit systematischen Überlegungen zu "exemplarischen Fällen" leicht zur Retusche wird.

Andererseits – und damit komme ich zum Schluß – liesse sich ohne die beschriebenen Prozeduren der nachträglichen Purifizierung, also ohne die Auswahl bestimmter Textvorkommnisse und deren Ordnung in Form von Zusammenhangs- und Verlaufskonzepten so etwas wie "Wissenschaftsgeschichte" gar nicht schreiben: Ein "idealer Chronist" im Sinne Arthur C. Dantos, der alle Ereignisse der Wissensproduktion einschließlich der Gedanken der beteiligten Akteure im Moment ihres Geschehens protokollieren, dafür jedoch weder vor- noch zurückschauen könnte, würde die Möglichkeit von Geschichtsschreibung geradezu aufheben. Die Eigenschaften unseres Erkenntnisgegenstandes – die diversifizierte und hochspezialisierte Produktion von Wissen in historischen Zeiträumen – wie unsere begrenzte Existenz als menschliche Beobachter zwingen zur Auswahl und damit zur Statuierung von Exempeln, die trotz ihrer Unvollkommenheit und Begrenzung mehr als nur einen singulären Fall repräsentieren. Zugleich aber beruht gerade auf der Position des historischen (und historisch begrenzten) Beobachters eine Fähigkeit, die etwa einem "idealen Chronisten" versagt bliebe: Die Fähigkeit zur Distanznahme. Erst Distanz macht so etwas wie chronologische und topographische Markierungen möglich; erst Distanz gestattet die Identifikation von Subjekten und die Strukturierung des Geschehens durch die Konzepte von Zusammenhang und Verlauf. Somit wird eine systematische Ordnung des wissenschaftlichen Produktions- und Kommunikationsprozesses allein durch die Tätigkeit des retrospektiv vorgehenden Wissenschaftshistorikers denkbar. 
Letztlich bietet möglicherweise gerade die Differenz zwischen dem an seiner disziplinären Front agierenden Wissenschaftler und dem nachträglich dessen Aktionen beobachtenden Wissenschaftshistoriker die Chance, Normen zu formulieren, um den fortwährenden und immer stärker expandierenden Ausstoss der wissenschaftlichen Produktion als Geschichte beschreiben zu können. – Ob mit der Distanz als einem "zeitlichen Abstand" zum Geschehen jedoch der bereits von Jacob Burckhardt angestrebte "archimedische Punkt ausserhalb der Vorgänge" gewonnen ist, der es erlaubte, "die Dinge geistig zu überwinden" und "vollkommen frei über solcher Vergangenheit [zu] schweben", ist allerdings schon ein anderes Thema.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.




1 Vgl. Petra Werner: Learning from an adversary? Warburg against Wieland. In: Historical Studies in the Physical and Biological Sciences 28 (1997), pp. 173-196, hier p. 173.

2 In gleicher Weise muss für die sich nun durchsetzende Theorie eine erfolgreiche Weitergabe und/oder Modifikation angenommen werden. - Dass Planck sich dieses Umstandes wohl bewußt war, geht aus der vollständigen Fassung der Sentenz hervor, die in seiner Wissenschaftlichen Selbstbiographie zu finden ist. Bei Planck heißt es wörtlich: "Eine neue wissenschaftliche Wahrheit pflegt sich nicht in der Weise durchzusetzen, daß ihre Gegner überzeugt werden und sich als belehrt erklären, sondern vielmehr dadurch, daß die Gegner allmählich aussterben und daß die heranwachsende Generation von vornherein mit der Wahrheit vertraut gemacht ist." – Zitiert nach John Heilbron: Max Planck. Ein Leben für die Wissenschaft 1858-1947. Stuttgart 1988, S

3 Tom Kindt, Hans Harald Müller: Dilthey, Scherer, Erdmannsdörffer, Grimm – ein ‚positivistisches’ Zeitschriftenprojekt in den 1860er Jahren. In: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 22 (1999), S. 180-188. In ebenso allgemeiner Weise beginnt ein bislang unpublizierter Aufsatz derselben Autoren unter dem Titel Dilthey gegen Scherer. Geistesgeschichte contra Positivismus. Zur Revision eines wissenschaftshistorischen Stereotyps: "Die Geistesgeschichte rief in ihren programmatischen Manifesten eine ‚Revolution in der Wissenschaft‘ aus und beanspruchte, die Disziplin aus dem Banne des Positivismus zu erlösen."

4 Vgl. Klaus Weimar: Der Text, den (Literar-)Historiker schreiben. In: Hartmut Eggert, Ulrich Profitlich, Klaus R. Scherpe (Hrsg.): Geschichte als Literatur. Formen und Grenzen der Repräsentation von Vergangenheit. Stuttgart 1990, S. 29-39, S. 30.

5 Dazu jetzt umfassend Lutz Danneberg, Jürg Niederhauser (Hrsg.): Darstellungsformen der Wissenschaften im Kontrast. Aspekte der Methodik, Theorie und Empirie. Tübingen 1998 (= Forum für Fachsprachen-Forschung 39); hier insbesondere im Beitrag der Herausgeber mit reichhaltigen weiterführenden Literaturangaben. – Die Erforschung der Darstellungsformen in der Wissenschaftsgeschichtsschreibung steckt noch in den Anfängen; einen (nicht unproblematischen) Anfang bietet William Clarke: Poetics for Scientists. In: Studies in History and Philosophy of Science 23 (1992), pp. 181-192; ders.: Narratology and the History of Science. In: Studies in History and Philosophy of Science 26 (1995), pp. 1-71, wo die von Northrop Frye und Hayden White entwickelten Muster zur Beschreibung narrativer Strukturen in historischen Texten (Voice, Scene, Agents, Plot, Audience) exemplarisch auf vier wissenschaftshistorische Werke angewandt werden.

6 Dazu Stefan Weigert: Wissenschaftliche Darstellungsformen und Uneigentliches Sprechen. Analyse einer Parodie aus der Theoretischen Physik.. In: Lutz Danneberg, Jürg Niederhäuser (Hrsg.): Darstellungsformen der Wissenschaften im Kontrast, S. 131-156.

7 Vgl. Lutz Danneberg, Jürg Niederhäuser : "... daß die Papierersparnis gänzlich zurücktrete gegenüber der schönen Form." Darstellungsformen der Wissenschaft im Wandel der Zeit und im Zugriff verschiedener Disziplinen. In: Dies. (Hrsg.): Darstellungsformen der Wissenschaften im Kontrast, S. 49-60; Eva-Maria Jakobs: Vernetzte Fachkommunikation. Ein interdisziplinärer Ansatz. In: Ebenda, S. 189-211.

8 Diese auf der Basis von Relationszusammenhängen konstituierten Strukturen reichen von "Verwebungen und Vernetzungen" in unterschiedlicher Komplexität bis zu Konglomeraten und Aggregaten und enden im im Grenzfall der Nullstrukturierung bei der regellosen Häufung, vgl. Elisabeth Ströcker: Über die mehrfache Bedeutung der Rede von Ganzen und Teilen. Bemerkungen zum sogenannten hermeneutischen Zirkel. In: Karl Acham, Winfried Schulze (Hrsg.): Teil und Ganzes. Zum Verhältnis von Einzel- und Gesamtanalyse in Geschichts- und Sozialwissenschaften. München 1990 (= Beiträge zur Historik, Bd. 6), S. 278-298, hier S. 283.

9 Paul Forman: Weimar culture, causality, and quantum theory: adaption by German physicists and mathematicians to a hostile intellectual environment. In: Historical Studies in the Physical Sciences 3 (1971), pp. 1-115; ders.: Kausalität, Anschaulichkeit und Individualität. Oder: Wie Wesen und Thesen, die der Quantenmechanik zugeschrieben, durch kulturelle Werte vorgeschrieben wurden. In: Nico Stehr, Volker Meja (Hrsg.): Wissenssoziologie. Opladen 1981. (= Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie Sonderheft 22), S. 393-406 (auch in Englisch als: Kausalität, Anschaulichkeit and Individualität, or How Cultural Values Prescribed the Charakter and the Lessons Ascribed to Quantum Mechanics. In: Nico Stehr, Volker Meja (Eds.): Society and Knowledge: Contemporary Perspectives in the Sociology of Knowledge. New Brunswick 1984, pp. 333-347); Klaus T. Volkert: Die Krise der Anschauung. Eine Studie zu formalen und heuristischen Verfahren in der Mathematik seit 1850. Göttingen 1986 (= Studien zur Wissenschafts-, Bildungs- und Sozialgeschichte der Mathematik 3); ders.: Zur Rolle der Anschauung in mathematischen Grundlagenfragen: Die Kontroverse zwischen Hans Reichenbach und Oskar Becker über die Apriorität der euklidischen Geometrie. In: L. Danneberg, A. Kamlah, L. Schäfer: Hans Reichenbach und die Berliner Gruppe, S. 275-293. – Paul Formans provokante Arbeiten zur Geburt der Quantenmechanik aus dem Geist der Weimarer Republik sind, durch Beiträge zeitgenössischer Akteure ergänzt, zusammengefaßt erschienen in: Karl von Meyenn (Hrsg.): Quantenmechanik und Weimarer Republik. Braunschweig, Wiesbaden 1994.

10 Systematische Überlegungen zur Konstruktion von Vorläufern (sowohl durch aktive Wissenschaftler als auch durch retrospektiv vorgehende Wissenschaftshistoriker) bilden noch immer ein Desiderat der Wissenschaftsforschung. Überlegungen dazu finden sich bei Iris Sandler: Some Reflections of the Protean Nature of Scientific Prosecutor. In: History of Science 17 (1979), pp. 170-190; der Beitrag von Tom Kindt und Hans-Harald Müller auf dem DFG-Symposium "Literaturwissenschaft und Wissenschaftsforschung" u.d.T. Konstruierte Ahnen. Forschungsprogramme und ihre "Vorläufer" kann nur als ergänzungsbedürftiger Anfang gelten.

11 Ein Beispiel dafür könnten die zahlreichen Fallstudien zum Transfer morphologisch-gestalttheoretischer Vorstellungen im 19. und frühen 20. Jahrhundert sein, die etwa die Beziehungen zwischen Geistes- und Kulturwissenschaften einerseits und den Naturwissenschaften, insbesondere der Biologie andererseits theamtiseren, u.a. William Coleman: Morphology between Type Concept and Descent Theory. In: Journal of the History of Medicine and Allied Sciences 31 (1976), S. 149-175; Lynn Nyhart: The Disciplinary Breakdown of German Morphology, 1870-1900. In: Isis 78 (1987), S. 365-389; ders.: Biology takes Form. Animal Morphology and the German Universities, 1800-1900. Chicago 1995; Rudie Trienes: Type Concet Revisited. A Survey of German Idealistic Morphology in the First Half of the 20th century. In: History and Philosophy of the Life Sciences 11 (1989), S. 23-42; zur Gestaltpsychologie instruktiv Mitchel G. Ash: The Emergence of Gestalt theory: Experimental Psychology in Germany 1890-1920. Diss. Harvard University 1982; ders.: Gestalttheorie. In: Lutz Danneberg, Andreas Kamlah, Lothar Schäfer (Hrsg.): Hans Reichenbach und die Berliner Gruppe. Braunschweig, Wiesbaden 1994, S. 87-100; ders.: Gestalt Psychology in German Culture 1890-1967: Holism and the Quest for Objectivity. Cambridge/New York 1995.

12 Ein möglicher szientometrischer Indikator für Austausch, Einfluß und Wirkung von Texten und den in ihnen fixierten Konzepten und Methoden sind etwa die in einem abgrenzbaren Zeitraum erschienene Literatur und die in ihr enthaltenen gruppenbezogenen Informationen, die vor allem in der Form von Zitationen erscheinen und kognitiv als Konstruktion eines symbolischen Rahmens der eigenen Überlegungen und soziologisch als Verweis auf ein soziales Binnennetzwerk interpretiert werden können. Wie Kritiker der Zitationsanalyse feststellen, werden die wirklichen Quellen wissenschaftlicher Ideen jedoch oft genug nicht angeführt, während Verweise auf Sekundärquellen, auf Arbeiten minderer Qualität, von gegenwärtig aktuellen Autoren oder auch nur im Interesse der eigenen Karriere durchaus möglich sind. Gerade in den Geistes- und Sozialwissenschaften dokumentieren Zitationen häufig nur die Belesenheit des Autors und weisen keinen Bezug zum Thema auf. Unter Berücksichtigung dieser Umstände stellt die Zitationsanalyse kein Instrument zur Eruierung der eigentlichen sozialen Wirkungsbeziehungen des Wissenstransfers dar, sondern ist vor allem ein Mittel zur Herausarbeitung symbolischer Strukturen, dazu Henry G. Small: Cited Documents as Concept Symbols. In: Social Studies of Science 8 (1978), pp. 327-340. Die in Form von Verweisen und Zitationen ausgesprochenen Primärwertungen und Anerkennungen müssen sich in der Analyse und Interpretation der wechselseitigen Einflußnahme bereit zumindest partiell nach der Selbstwahrnehmung der sozial und kognitiv vernetzten Mitglieder der "paradigmatischen Gruppe" richten!


 
 
  
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