Die Kanon-Box. Texte – Medien – Konstellationen Eine digitale Material- und Werkzeugsammlung für Philologen im 21. Jahrhundert |
Ein materiales Ergebnis der Vorlesung Das bleibt. Kanonische Werke der deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts in ihren Voraussetzungen und Konsequenzen (Wintersemester 2019/20) |
Als der Literaturkritiker Marcel
Reich-Ranicki in den Jahren zwischen 1999 und 2003 seinen Kanon der
deutschen Literatur zusammenstellte und in vier schwergewichtigen
Papierbuch-Paketen im Insel-Verlag veröffentlichte, waren die
Reaktionen in kultureller Öffentlichkeit und wissenschaftlicher Welt
geteilt. Doch trotz kritischer Fragen an den Auswahlkriterien und Ergebnissen des prominenten Experten (und Ehrendoktors unserer Universität) ist die Notwendigkeit einer permanenten Selbstvergewisserung über bleibende Texte und dauerhaft rezipierte Werke unbestritten: Gesellschaften und Generationen müssen sich den Reichtum der kulturellen Überlieferung ebenso aneignen wie kritische Umgangsformen mit den in ihnen bewahrten Problemstellungen und Lösungsangeboten. Da aber die Fülle ästhetischer Produktionen – in der Literatur und in der Bildenden Kunst, in Musik und Film – tendenziell unüberschaubar ist, sind Auswahlprozesse unumgänglich. Zugleich bedarf es nicht nur beständiger Reflexionen über die Grundlagen von Wertungen (die mit der Integration von bestimmten Werken immer auch andere Werke ignorieren oder ausschließen), sondern gleichfalls umfassender Kenntnisse über die Voraussetzungen und Konsequenzen jener Texte, die als ‚kanonisch’ bezeichnet werden und doch keineswegs singuläre und voraussetzungslose ‚Gipfel’ einer literarischen Entwicklung darstellen. Mit anderen Worten: Um in den tiefgreifenden Transformationsprozessen unserer Gegenwart auch weiterhin literarisch-kulturelle Bildungsfunktionen übernehmen zu können, sind die philologischen Wissenskulturen – auch an der Humboldt-Universität – in der Pflicht, sich an Diskussionen um bleibende Werke in ihren ästhetischen und ideengeschichtlichen Voraussetzungen wie ihren literarischen wie gesellschaftlichen Folgen zu beteiligen: und also aktiv an der Gestaltung des Kanons mitzuwirken. Eine Variante der Reflexion über die bleibenden Werke der deutschen Literatur in ihren (europäischen) Voraussetzungen und Konsequenzen soll in der Vorlesung Das bleibt. Kanonische Werke der deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts in ihren Voraussetzungen und Konsequenzen (Wintersemester 2019/20) erprobt werden. Die Vorlesung wird nicht nur eine kritische Rekonstruktion von Kanonisierungsprozessen unternehmen, sondern an ausgewählten (und also diskutablen) Werken rekonstruieren, wie sich Anschlüsse an Traditionen mit innovativen Einsätzen verbinden. Einen weiteren Schwerpunkt bilden die Wirkungsgeschichten von kanonisierten Texten, die in vielfältiger Weise auf gesellschaftliche Verhältnisse und das Ensemble ihrer Künste wirkten und zugleich von nachfolgenden Generationen angeeignet (oder auch abgelehnt) wurden. Und sie wird ein neues Format der digitalen Dokumentation nutzen, um den Studierenden die materiale Fülle von Texten, medialen Kontexten und Konstellationen in Form einer digitalen Material- und Werkzeugsammlung zur Verfügung zu stellen. Die Kanon-Box. Texte – Medien – Konstellationen versammelt:
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Die
materiale Ausstattung der Kanon-Box umfasst digitale Datenträger in
Form von schnellen SSD-Festplatten mit USB- und USB-Micro-Anschlüssen
(so dass sie an PC/ Notebooks/ Tablets und an Smartphones anschließbar
sind) sowie ein Mikro-Controller (für fortgeschrittene Nutzer, die
selbst programmieren) und entsprechende Verbindungskabel. Die Kanon-Box wird als materiales Ergebnis der Vorlesung Kanonische Werke der deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts in ihren Voraussetzungen und Konsequenzen im Wintersemester 2019/20 produziert und den Teilnehmern der Vorlesung sowie allen interessierten Philolog*innen und Lehrenden der Fakultät unentgeltlich zur Verfügung gestellt. Ohne Frage: Gründliches und genaues, langsames und mehrfaches Lesen von Texten ist und bleibt die zentrale Arbeitsform von Philologen. Und selbstverständlich soll die Kanon-Box nicht die Illusion befördern, mit digital verfügbaren Texten und Kontexten den Reichtum der kulturellen Überlieferung gleichsam in der Tasche und ohne Anstrengung verfügbar zu haben. Doch als ein Werkzeug für die philologischen Wissenskulturen im 21. Jahrhundert scheint sie geeignet, sowohl Studierende als auch Lehrende der Literaturwissenschaften bei produktiven Umgangsformen mit bleibenden Werken zu unterstützen. |