Ansprache des Bundespräsidenten
Johannes Rau beim Abendessen zu Ehren des Staatspräsidenten der Bundesrepublik Nigeria,
Herrn Olusegun Obasanjo, am 16. Dezember 1999 im Schloss Bellevue, Berlin
Herr Präsident,
verehrte Frau Obasanjo,
Exzellenzen,
meine Damen und Herren,
ich heiße Sie herzlich willkommen in Berlin.
Mit dieser Einladung möchte die Bundesrepublik Deutschland ausdrücken, wie hoch sie
die Rückkehr Ihres Landes in den Kreis der Demokratien einschätzt. Ihr persönlicher
Anteil an dieser vielversprechenden Entwicklung ist unübersehbar. Sie haben alle
denkbaren Höhen und Tiefen eines politischen Lebens durchlaufen und durchlitten und sind
doch immer wieder unbeirrt auf den Weg zu Demokratie und Rechtsstaat zurückgekehrt.
Sie haben sich als Staatsmann weltweit Anerkennung und als Mensch den Respekt Ihrer
Freunde erworben, auch bei uns in Deutschland. Darum ist es uns eine Ehre, Sie heute bei
uns zu haben.
Die Demokratie hat in allen Teilen der Welt eine wechselvolle und oft dramatische
Geschichte. Das ist in Nigeria nicht anders. Sie haben ein seltenes Beispiel gegeben,
als Sie das Amt des Staatschefs, das Ihnen im Alter von kaum mehr als vierzig Jahren
übertragen wurde, nach drei Jahren einer demokratisch legitimierten Zivilregierung übergeben
haben. Mit diesem Schritt haben Sie Ihrem Land einen großen Dienst erwiesen. Dass
die später folgende Diktatur sich durch Sie bedroht gefühlt hat und Sie dafür mit
Haft belegt wurden, kann da nicht überraschen. Unbeirrt haben Sie aber selbst aus dem
Gefängnis heraus Ihre Überzeugung verbreitet: Sie haben gesprochen von Ihrem festen
Glauben an die Ideale von Frieden, Demokratie, "Good Governance", Partizipation,
Transparenz und Armutsbekämpfung.
Sie sagten, dass diese Ideale jede Regierung und jedes Individuum überleben werden.
Sie haben Recht behalten. Sie mussten Recht behalten. Denn Demokratie ist die einzige
Form politischer Ordnung, die für das Neue offen ist, die die Gesellschaft atmen
lässt und die sich selbst als Entdeckungsprozess für die Lösung von Problemen, nicht als
endgültige Antwort auf alle Fragen versteht. Nur ein Staat, der der Demokratie und
den Menschenrechten verpflichtet ist, kann die Vielfalt in seinem Inneren respektieren
und dennoch die Einheit wahren.
Freilich ist Demokratie zunächst einmal ein Versprechen. In der schwierigen Lage,
in der Sie die Führung Ihres Landes übernommen haben, ist es eine ungeheuer große
Aufgabe, die Erwartungen zu erfüllen, die sich auf Sie richten. Es wird nicht leicht
sein, in den Menschen Vertrauen zu wecken, die nach Jahren der Misswirtschaft darauf hoffen,
dass ihr Leben sich bessert. Immer wieder muss für die Einsicht geworben werden:
- dass die Ergebnisse der demokratischen Umgestaltung
nicht von heute auf morgen auf dem Tisch liegen, sondern
- dass Geduld,
- dass am langfristigen Gemeinwohl orientierte Arbeit,
- dass geordnete Verwaltung und Solidarität in der Gesell
schaft erforderlich sind.
Wenn ich das sage, dann weiß ich, wovon ich spreche: Auch bei uns in Deutschland
wenn auch unter ganz anderen Voraussetzungen war es nicht leicht, nach der Wiedervereinigung
die hochgesteckten Erwartungen derer zu erfüllen, die sich der Demokratie zugewandt haben. Für Ihr Land wie für Deutschland gilt sinngemäß, was der tschechische
Präsident Havel über die Hinterlassenschaft des Kommunismus gesagt hat: dass nämlich
nicht nur Wirtschaftsruinen und Umweltsünden das Erbe einer diktatorischen Vergangenheit sind, sondern auch die Verwüstungen in den Köpfen der Menschen. Solidarität heißt
Lastenverteilung zwischen Bessergestellten und Schwachen. Wer die Lasten einer unumgänglichen
Reform tragen soll, muss wissen, dass es fair zugeht in der Gesellschaft. Das ist in Europa nicht anders als in Afrika. Ihr Programm zur Bekämpfung der Korruption
ist darum für den Erfolg der Demokratie ganz wesentlich.
Das deutsche Interesse an Nigeria ist nicht neu: Seit der Unabhängigkeit Ihres Landes
hat nie ein Zweifel daran bestanden, dass es mit seiner Größe und mit seiner Bevölkerung
auf dem afrikanischen Kontinent eine besondere Rolle zu spielen hat. Nigeria verfügt aber auch über hervorragende Botschafter und da meine ich nicht nur die Diplomaten
, die das Interesse wachzuhalten verstehen :
Ich denke an den nigerianischen Literaturnobelpreisträger Wole Soyinka.
Auch die Tatsache, dass der künstlerische Leiter der vielleicht bedeutendsten deutschen
Ausstellung moderner Kunst, der "Documenta", aus Ihrem Lande kommt, zeigt, welche
Tiefe unsere Beziehungen erreicht haben.
Ich denke aber auch an den nigerianischen Einfluss, den wir seit einigen Jahren
auf einer ungeahnt menschlichen Ebene erfahren: Wenn Sie einen Deutschen fragen würden,
welche nigerianischen Namen er kennt, wird er Ihnen sofort zwei oder drei brillante
Fußballspieler nennen, die in unserem Land zu den ganz Großen gehören und die es an
Beliebtheit mit jedem ihrer deutschen Kollegen aufnehmen können. Was sie und ihre
Landsleute für das Verständnis unter Völkern tun, ist in mancher Hinsicht mehr,
als Politik erreichen kann.
Die Beziehungen zwischen Deutschland und Nigeria waren politisch immer von großer
Bedeutung nicht zuletzt durch Ihre Zusammenarbeit, Herr Präsident, mit Ihren politischen
Freunden in Deutschland. Mit der Wende Ihres Landes zur Demokratie werden sie weiter an Gewicht zunehmen. Auch die wirtschaftlichen Beziehungen haben Chancen zu einem
Aufschwung, wenn die Rückkehr zu Rechtsstaat, Demokratie und Stabilität erfolgreich
ist. Ich appelliere hier auch an die deutschen Unternehmen: Demokratie braucht wirtschaftlichen Erfolg, wenn sie auf Dauer stabil sein soll. Prüfen Sie Ihr Engagement und
nutzen Sie die Chancen, die Ihnen ein neues Nigeria bietet.
Sie werden Deutschland im Bemühen um die Bewältigung Ihrer schwierigen Aufgabe immer
an Ihrer Seite finden. Die Chance, die von Ihrem Land für ganz Afrika ausgeht, darf
nicht vergeben werden. Ein erfolgreiches Modell Nigeria wird sich auswirken auf den
gesamten afrikanischen Kontinent.
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