ICE.htm
Einweihung der ICE-Strecke Berlin-Hannover
Ansprache des Bundeskanzlers in Berlin
Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl hielt anläßlich der Inbetriebnahme der Hochgeschwindigkeitsstrecke
Hannover-Berlin am 15. September 1998 in Berlin folgende Rede:
Herr Regierender Bürgermeister,
Herr Präsident des Abgeordnetenhauses,
meine Damen und Herren Abgeordnete,
lieber Herr Dr. Ludewig, lieber Herr Dr. Dürr,
meine Damen und Herren,
dies ist ein großer Tag für die Deutsche Bahn, für die Hauptstadt Berlin und für
ganz Deutschland. Die ICE-Strecke Berlin-Hannover, die wir heute gemeinsam eröffnen,
ist ein besonders wichtiges Vorhaben im Rahmen der "Verkehrsprojekte Deutsche Einheit".
Allen, die zum Gelingen dieses Projektes beigetragen haben von der Planung bis hin
zur Umsetzung in die praktischen Details sage ich ein herzliches Wort desDankes.
Seit Baubeginn vor sechs Jahren ist hier ungeheuer viel geleistet worden. Der Bund
hat über 5 Milliarden D-Mark in das Vorhaben investiert dabei sind die Investitionen
für den Bahn-Knoten Berlin nicht berücksichtigt. Bei der Planung wurden neue Wege
beschritten. Zur Realisierung eines Teils dieser Strecke der Südumfahrung Stendal
haben wir das erste Investitionsmaßnahmengesetz in der Geschichte der Bundes-republik
Deutschland beschlossen und so das Vorhaben deutlich beschleunigt. Für mich ist das
ein Beispiel für die überzeugende Realisierung aller Projekte, die wir im Zusammenhang
mit der Deutschen Einheit unternommen haben. Auch den Belangen des Umwelt- und Naturschutzes
haben wir beim Bau der Strecke in besonderem Maße Rechnung getragen. Das beste Beispiel ist der Vogelschutz.
Die Investitionen in die Neubaustrecke sind gut angelegt. Sie sind eine Investition
in eine gute gemeinsam Zukunft der Deutschen. Dieses Projekt ist gerade auch für
die neuen Bundesländer von größter Bedeutung. Wir werden den Standort Ostdeutschland
nur voranbringen und dort neue Arbeitsplätze schaffen, wenn wir die Verkehrsinfrastruktur
weiter ausbauen.
Für mich behält der Aufbau Ost weiterhin höchste Priorität. Das will ich auch bei
dieser Gelegenheit klar aussprechen. Wir haben gemeinsam gesagt: "Wir sind ein Volk."
Das heißt für mich, daß dieses Bekenntnis nicht nur am Tag der Deutschen Einheit
gilt, sondern auch danach. Die Westdeutschen, die das Glück hatten, auf der sonnigen Seite
der Mauer zu leben, müssen begreifen, daß Investitionen und die Verbesserung der
Lebensverhältnisse für die neuen Länder Vorfahrt haben. Unser Ziel muß es sein, die
Lebenssituation in den neuen Ländern so schnell wie möglich an die Lebensverhältnisse
in den alten Bundesländern anzugleichen. Die konsequente Fortsetzung des Aufbaus
Ost bedeutet, daß wir über Solidarität nicht nur reden, sondern sie dort, wo es darauf
ankommt, auch sehr praktisch leben.
Die Bundesregierung hat sich trotz der schwierigen Haushaltslage klar zum Vorrang
der 17 "Verkehrsprojekte Deutsche Einheit" bekannt. Wir werden sie ohne Abstriche
verwirklichen, auch wenn dies in den alten Ländern teilweise zu Verzögerungen führt.
Von Mitte 1990 bis Ende dieses Jahres werden wir aus Steuermitteln insgesamt rund 87
Milliarden D-Mark in die Verkehrswege der neuen Länder investiert haben. Das entspricht
fast jeder zweiten D-Mark aller Verkehrsinvesti-tionen, und das ist gemessen an
der Bevölkerungszahl und der Fläche der neuen Länder zu Recht ein weit überproportionaler
Anteil.
Rund 5300 Kilometer Schienenwege und rund 11 500 Kilometer Straße wurden neu- oder
ausgebaut. Heute verlaufen die Hauptverkehrswege in unserem Land nicht mehr nur von
Nord nach Süd, sondern gehen auch wieder von West nach Ost. Auch das ist ein Beitrag
zu inneren Einheit. Wir dürfen in unseren Anstrengungen jetzt auf gar keinen Fall nachlassen.
Ein Stopp oder ein Zurückdrehen von Verkehrsvorhaben wäre eine katastrophale Entwicklung
für die neuen Länder.
Die Strecke, die wir heute freigeben, ist auch ein großer Beitrag zum Zusammenwachsen
Europas. Sie ist Teil der neuen Europäischen Hochgeschwindigkeitsachse von Paris/London
über Brüssel, Aachen und Köln nach Berlin. Unser Ziel ist die Weiterführung dieser Strecke nach Warschau und Moskau.
Heute haben wir viele neue Möglichkeiten. Aber wir müssen uns auch darüber im klaren
sein, daß es bei allem technischen Fortschritt, den wir brauchen und bejahen, eine
hundertprozentige Sicherheit nicht geben kann. Dies haben wir erst vor kurzem schmerzlich erfahren müssen. Deshalb möchte ich heute auch an die tragischen Erfahrungen von
Eschede erinnern und unsere Verbundenheit mit den Opfern und ihren
Angehörigen ausdrücken. Mein ganz besonderer Dank gilt den vielen Helferinnen und
Helfern aus der Umgebung, der Gemeinde und der dortigen Region, aber auch all denen,
die sich in diesen Tagen in einer so überzeugenden menschlichen Weise bewährt haben
nicht zuletzt den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Bahn. Diese Tage haben uns gezeigt,
daß Mitmenschlichkeit und Hilfsbereitschaft in unserm Land und in unserem Volk keine
Fremdworte sind.
Meine Damen und Herren, die Zusammenführung der Deutschen Bundesbahn und der Deutschen
Reichsbahn war mit gewaltigen Anstrengungen verbunden. Wenn später einmal die Geschichte
der Deutschen Einheit geschrieben wird, dann wird dies ein Ruhmesblatt sein. Deshalb habe ich eine ganz besondere Hochachtung vor den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
der Bahn.
Mit der ersten Stufe der Bahnreform wurde die Bahn von einer Behörde in eine privatrechtliche
Aktiengesellschaft umgewandelt. So wurde sie von bürokratischen Fesseln befreit.
Die Bahn hat einen gewaltigen Schritt getan. Ich sage das wiederum voller Respekt. Jetzt steht die zweite Stufe der Bahnreform kurz bevor das Ausgliedern einzelner
Bereiche in selbständige Aktiengesellschaften unter dem Dach einer Holding. Dafür
möchte ich Ihnen, lieber Herr Dr. Ludewig, meine volle Unterstützung zusagen.
In Deutschland sind damit die Weichen gestellt, um die Schiene zu einem starken und
interessanten partner für einen modernen Verbund aller Verkehrsträger zu machen.
Unser Ziel ist es, Straße, Schiene, Luftwege und Wasserstraßen intelligent miteinander
zu verbinden. Zu diesem Netz wird künftig auch die Magnetschwebebahn Transrapid gehören.
Wir brauchen dieses neue Verkehrsmittel auch deshalb, um unsere Stellung
als eine der führenden Technologie- und Exportnationen der Welt zu festigen.
Meine Damen und Herren, der erste Zug, der von Berlin nach Hannover verkehrt, wird
heute auf den Namen "Claus Graf von Stauffenberg" getauft. Stellvertretend für alle
Widerstandskämpfer ehren wir damit einen Mann, der sein mutiges Eintreten für Menschenwürde und Freiheit, für Recht und Wahrheit mit seinem Leben bezahlt hat. Es ist für mich
eine große Freude, die Vertreter der Familie hier ganz besonders herzlich begrüßen
zu dürfen. Dieser Zug mit seinem Namen erinnert an großartige Männer und Frauen,
die in der dunkelsten Stunde unseres Volkes die Fahne der Menschlichkeit
hochgehalten haben.
Heute haben wir das Glück, in einem wiedervereinten Land in Frieden und Freiheit zu
leben. Dieses Glück wird gerade heute in Berlin für jedermann deutlich. Das, Herr
Regierender Bürgermeister, ist die großartige Chance unserer Hauptstadt. Die Neugestaltung Berlins, eine der großen Hauptstädte der Welt, kommt sichtbar voran.
Meine Damen und Herren, mit der Inbetriebnahme der ICE-Strecke Hannover-Berlin setzen
wir ein weiteres Zeichen für diese Zukunft. Ich wünsche allen Reisenden und allen
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Deutschen Bahn AG eine gute Fahrt und viel
Erfolg bei der Arbeit für eine gute Zukunft unseres Vaterlandes .
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