Deutsche Finanzpolitik im Zeichen der Europäischen Währungsunion und der Globalisierung
Rede von Bundesminister Dr. Waigel in Bonn
Der Bundesminister der Finanzen, Dr. Theo Waigel, hielt anläßlich der Kundgebung des
Hauptverbandes des Deutschen Einzelhandels e.V. am 28. Oktober 1997 in Bonn folgende
Rede:
Sehr geehrter Herr Präsident Franzen,
sehr geehrte Damen und Herren,
noch sind es gut zwei Jahre bis zur Jahrtausendwende. Das letzte Jahrtausend hat die
Menschheit weit vorangebracht -- gesellschaftlich, kulturell, wissenschaftlich, technologisch
und ökonomisch. Sicherlich hat sich niemand um das Jahr 1000 vorstellen können wie die Welt, Europa oder Deutschland am 1. Januar 2000 aussehen wird. Aber selbst
vor hundert Jahren, als die gravierenden Auswirkungen der industri- ellen Revolution
für jeden sichtbar waren, hätte kaum jemand eine vollständig zutreffende Aussage
über das Gesicht der Welt oder unseres Kontinents am Ende dieses Jahrhunderts gemacht.
Frühe Science-fiction-Bücher wie die von Jules Verne zeigen immerhin, wie sehr man
an Chancen und Entwicklungsmöglichkeiten der neuen Technologien und insgesamt an
eine glückliche Entwicklung der Menschheit glaubte. Die eine oder andere Entwicklung
-- beispielsweise bei der Weltraumforschung -- wurde sogar recht gut getroffen. Am Ende dieses
Jahrhunderts muß das Fazit dennoch gemischt ausfallen. Zwar hat die Wissenschaft
und Technik in der Tat eine ungeheure Dynamik entwickelt. Im Rahmen einer marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung wurde in vielen Ländern Wohlstand für breite Schichten erreicht.
Freiheit und Demokratie, eine offene Gesellschaft haben sich gegen totalitäre Gesellschaftsentwürfe
durchgesetzt.
Der Kalte Krieg ist vorbei, Deutschland ist wieder vereint -- 45 Jahre schmerzlicher
Trennung sind endlich vorbei. Das letzte Jahrzehnt ist vielleicht das beste Jahrzehnt
in diesem Jahrhundert. All das steht auf der Habenseite. Auf der Sollseite stehen
zwei furchtbare Weltkriege mit Millionen von Toten und Heimatlosen, die Entwicklung von
Vernichtungswaffen, die die ganze Erde auslöschen können, Armut, Unterernährung
und ökologischer Raubbau in vielen Ländern der Welt, insbesondere in Schwellen- oder
Entwicklungsländern. Die Brandkatastrophe in Südostasien ist ein Beispiel für ein
Ausmaß an ökonomischem und politischem Versagen, wie man es eigentlich in unserer
Zeit nicht mehr für möglich halten sollte. Gleiches gilt für mit äußerster Brutalität geführte
regionale Konflikte, wie wir sie -- auch vor unserer Haustür im ehemaligen Jugoslawien
-- jeden Tag in den Nachrichten sehen.
Vor 1000 Jahren hatten Weltuntergangspropheten Hochkonjunktur. Auch heute meint deshalb
angesichts der vielen ungelösten globalen Probleme so mancher mit. Pessimismus und
Unsicherheit in die Zukunft schauen zu müssen. Viele dieser ungelösten Probleme und
Herausforderungen sind nicht primär ökonomischer Natur -- wie etwa die globale Umweltproblematik.
Die meisten dieser globalen Probleme haben aber eine ökonomische Seite, die Wirtschaft
und mit ihr auch die Wirtschafts- und Finanzpolitik werden beeinflußt. Daneben gibt es die ökonomischen Herausforderungen im engeren Sinn. Hier ist das Hauptstichwort
"Globalisierung" -- aber auch das Projekt einer Europäischen Währungsunion gehört
dazu. Wie für so viele Dinge in einer immer komplexeren Welt gibt es auch bei den Stichwörtern Globalisierung und Währungsunion jeweils Chancen und Risiken. Die insgesamt
für die Menschheit ertragreiche Entwicklung der letzten 1000 Jahre lehrt uns aber
bei allen Rückschlägen, die Herausforderungen anzunehmen und die Chancen der neuen
Zeit zu nutzen. Wir setzen auf den Fortschritt, nicht kritiklos, aber doch mit dem
Optimismus, die Welt immer noch ein Stück besser zu machen.
Der Ausgangspunkt der Globalisierungsdiskussion sind wissenschaftlich-technologische
Innovationen in einem Ausmaß, das man durchaus mit der industriellen Revolution im
19. Jahrhundert vergleichen kann. Führend sind die Kommunikations- und Informationstechnologie, aber auch die Biotechnologie, die Verkehrs- und die Energietechnik. Das Zusammenspiel
dieser Basisinnovationen wird zu einem dramatischen weltweiten Strukturwandel führen.
Die Märkte wachsen zusammen. Die Konkurrenz der Standorte um Kapital, Know-how und Arbeitsplätze nimmt dramatisch zu.
Immer mehr Länder der früheren Dritten Welt sind in der Lage, qualitativ hochwertige
Güter bei niedrigen Kosten zu erzeugen. So wird beispielsweise die Softwareentwicklung
in der Computerbranche zunehmend nach Indien verlagert.
Der Welthandel gewinnt stetig an Dynamik. Das Welthandelsvolumen wächst etwa doppelt
so schnell wie die weltweite Produktion. Seit Mitte der 80er Jahre haben sich die
weltweiten Direktinvestitionen vervierfacht. Kapital, Knowhow und Arbeitsplätze wandern
in Sekundenschnelle zum Ort der höchsten Rentabilität.
Die internationalen Finanzmärkte sind förmlich explodiert. Der tägliche Devisenhandel
hat sich in den letzten 15 Jahren mehr als verzwanzigfacht. Jeden Tag wird heute
an den Märkten eine Devisensumme gehandelt, die dem jährlichen Bruttoinlandsprodukt
von Deutschland -- 3500 Milliarden D-Mark -- schon nahe kommt.
Grundsätzlich hat die positive Entwicklung des Welthandels Deutschland immer Wohlstandsgewinne
gebracht. Das wird auch jetzt so sein, wenn wir die Entwicklung national und international
in die richtigen Bahnen lenken, unsere wirtschafts- und finanzpolitischen Hausaufgaben machen. Grundlegende ordnungspolitische Prinzipien stehen dabei fest:
Deutschland steht für das Prinzip des Freihandels im internationalen Rahmen für Wettbewerb
und eine Soziale Marktwirtschaft. Arbeitsplätze und Wohlstand sind noch in keinem Land und zu keiner Zeit durch Protektionismus und Abschottung geschützt worden.
Der Prozeß des Niedergangs ist nur langer und schmerzhafter geworden.
Meine Damen und Herren, der Euro ist nicht nur ein Beitrag zur europäischen Integration,
zur Vollendung des Binnenmarktes, er ist auch die gemeinsame Antwort Europas auf
die Globalisierung. Ein stabiler Währungsraum und ein großer Binnenmarkt dämpfen
die ökonomischen Schocks von Weltwährungs- und Weltwirtschaftskrisen. Gigantische Summen
fließen jeden Tag in Spekulationsgeschäfte. Ein Land ist dem schnell hilflos ausgeliefert.
Hundert Milliarden Dollar Devisenreserven -- und so viele Reserven hat kaum ein Land in Europa -- können sich an einem Tag in nichts auflösen.
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