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Rede des Bundespräsidenten in Mainz

Bundespräsident Roman Herzog hielt bei den 31 . Mainzer Tagen der Fernsehkritik am 12. Mai 1998 in Mainz folgende Rede:

Sehr geehrte Damen und Herren,

das Fernsehen zieht viele in seinen Bann: nicht nur mich, mit meiner stillen Leidenschaft für die Vorabendprogramme, sondern viele Millionen Zuschauer, die tagtäglich vor den Bildschirmen sitzen. Am faszinierendsten aber, so hat man oft den Eindruck, scheint es für diejenigen zu sein, die für dieses schnelle und mächtige Medium arbeiten. Und weil das so ist, ist es ganz wichtig, daß man hin und wieder zur Seite tritt, um Distanz zu gewinnen und die tägliche Frage nach dem "Was machen wir heute?" durch die Frage "Was machen wir eigentlich überhaupt?" zu ersetzen. Traditionell sind die Mainzer Tage der Fernsehkritik dafür ein ganz vorzüglicher Ort. Eigentlich gibt es viel zu wenige davon.

Erwarten Sie von mir jetzt bitte nicht grundlegende Ausführungen zum Titel Ihrer Veranstaltung: "Jugendwahn und Altersängste". Zu diesen Begrifflichkeiten habe ich schon deshalb nichts Wesentliches beizutragen, weil ich weder unter dem einen noch unter dem anderen leide. Letzteres kann man freilich nicht behaupten, wenn man sich bestimmte Programmentscheidungen der letzten Zeit vor Augen führt. Da werden Sendungen trotz guter Zuschauerquoten abgesetzt, weil angeblich zu viele alte Leute unter den Zuschauern sind und deren vermeintliche Konsumbereitschaft unter Werbegesichtspunkten zu gering ist.

Damit ist in der Tat eine neue Dimension erreicht worden: Bisher wurden ja immer die Zuschauerquoten als letztgültige Argumente für Programmentscheidungen benutzt. Jetzt scheint man auch noch unter den Zuschauern nach jenen Ausschau zu halten, die "gleicher" sind als die anderen. Da fehlt nicht mehr viel, bis Sendungen nur noch als ästhetische Dekoration für Konsumprodukte im Werbeblock behandelt werden. Ich wehre mich dagegen, daß solche Denkkategorien anscheinend unaufhaltsam Einzug halten. Fast bin ich versucht, den Programmachern in Anlehnung an eine Zuschauerprotestaktion zuzurufen: "Ich bin auch noch da!"

Nun rede ich heute auf dem Forum eines öffentlich-rechtlichen Senders, der mir entgegenhalten könnte: "Ein solches Denken kennen wir nicht. Unsere Qualitätsstandards sind andere, Zielgruppenfixierungen sind uns fremd." Aber die Zeiten sind auch wieder nicht so. Auch die öffentlich-rechtlichen Anstalten achten inzwischen sehr genau darauf, daß Quoten und Zuschauermix stimmen. Dagegen ist ja prinzipiell nichts zu sagen. Denn selbstverständlich hat auch das öffentlich-rechtliche Fernsehen nur dann Legitimität, wenn es für viele interessant ist, und daher dürfen wir auch nicht in eine Situation geraten, die sich mancher private Fernsehanbieter vielleicht gerne wünscht: Daß sich die öffentlich-rechtlichen Sender überall dort zurückziehen, wo die privaten erfolgreich sind, und nur noch das bedienen, was vom großen "Zielgruppenkuchen" der privaten Anstalten übrigbleibt.

Umgekehrt sehe ich allerdings auch manchmal die Gefahr, daß die öffentlich-rechtlichen Anstalten versuchen, bestimmte private Programme bis zur Ununterscheidbarkeit zu kopieren, im Rundfunk noch mehr als im Fernsehen. Auch vor so einer Entwicklung, wenn es sie denn gäbe, könnte ich nur warnen, denn unsere Rundfunkgebühren legitimieren sich nicht durch ein bloßes "more of the same". Wir leisten uns das teuerste Gebührensystem der Welt Ja gerade, weil wir davon überzeugt sind, daß das deutsche Modell des dualen Rundfunksystems eine Qualität bietet, die auf der Welt ihres-gleichen sucht. Wäre hier eine Unterscheidbarkeit zwischen privaten und öffentlich-rechtlichen Sendern nicht mehr gegeben, dann wäre die Rechtfertigung für das Gebührensystem dahin.

Über Qualität entscheiden auch nicht die Quotenzählmaschinen. Darüber entscheidet zum Beispiel auch, wie lange sich die Menschen an eine Sendung erinnern und wie lange sie anschließend darüber reden. Ich frage mich schon seit geraumer Zeit, ob es darüber eigentlich Untersuchungen gibt? Diese Frage berührt unmittelbar den Untertitel Ihrer Veranstaltung: "Kommunikation in der Zielgruppengesellschaft". Gesellschaftliche Kommunikation ist grundsätzlich schwer meßbar, nicht erst, seitdem die Zeiten der großen Familienfernsehabende passé sind. Früher konnte man zumindest daraufhoffen, daß dort, wo gemeinsam ferngesehen wurde, auch miteinander geredet wurde. Im Zeitalter der Spartenprogramme ist Fernsehen eine ziemlich individualistische Angelegenheit geworden. Davon sind heute allenfalls noch die großen Sportveranstaltungen ausgenommen.


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