Euro.htm Erklärung der Bundesregierung zur Festlegung des Teilnehmerkreises an der Europäischen Währungsunion

Abgegeben von Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl
vor dem Deutschen Bundestag

Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl gab in der 227. Sitzung des Deutschen Bundestages am 2. April 1998 zur Festlegung des Teilnehmerkreises an der Europäischen Währungsunion folgende Erklärung der Bundesregierung ab.

Frau Präsidentin,
meine sehr verehrten Damen und Herren,

die Verwirklichung der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion ist in ihren Konsequenzen die bedeutendste Entscheidung seit der deutschen Wiedervereinigung. Sie ist die tiefgreifendste Veränderung auf unserem europäischen Kontinent seit dem Zusammenbruch des kommunistischen Imperiums. Und sie ist zugleich der wichtigste Meilenstein im europäischen Einigungsprozeß seit Gründung der Montanunion 1951 und seit Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft im Jahre 1957.

Es entspricht der großen Tradition eines demokratischen Parlaments, daß diese für die Zukunft unserer Nation so wesentliche Frage im Deutschen Bundestag, dem frei gewählten Parlament der Deutschen, in diesen Tagen man muß sagen: in diesen Wochen so eingehend diskutiert wird.

Der Deutsche Bundestag hat am 2. Dezember 1992 dem Vertrag von Maastricht mit überwältigender Mehrheit zugestimmt. Ein Kernelement dieses Vertrages ist die Schaffung einer Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion. Meine Damen und Herren, wir stehen jetzt kurz vor der Verwirklichung dieses Zieles. Ich denke, wir alle spüren in diesem Augenblick in einer ganz besonderen Weise, was dieser Schritt für Deutschland und Europa bedeutet.

Das 20. Jahrhundert, das in zwei Jahren zu Ende geht, hat zwei Gesichter gezeigt zwei Gesichter, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. In der ersten Hälfte war dieses Jahrhundert gekennzeichnet von schlimmen Kriegen, den schlimmsten, die die Menschheit je erlebt hat, von Terrorherrschaft und totalitären Ideologien. In der zweiten Hälfte stand es zunächst nur in einem Teil unseres Kontinents im Zeichen von Frieden und Freiheit, von Verständigung und Versöhnung. Dann haben wir in Deutschland die deutsche Einheit als Geschenk erfahren.

Diese tiefgreifenden Veränderungen ich glaube, man kann sagen: vom Schlimmen zum Guten haben viele Gründe, aber vor allem auch die Einigung Europas. Die europäische Einigung, meine Damen und Herren, ist ein wirklicher Glücksfall gerade für uns Deutsche. Ohne diese Politik wäre es nicht möglich gewesen, aus dem freien Teil unseres Kontinents den Krieg dauerhaft zu verbannen. Ohne die Einigung Europas wäre auch die deutsche Einheit nicht möglich gewesen. Gerade wir Deutschen haben das größte Interesse daran, daß diese Einigung in Europa weiter vorankommt. Dafür bietet sich uns heute eine historische Chance. Die wollen wir nutzen.

Vor gerade acht Jahren hatten wir die einmalige Chance zur Wiedervereinigung. Wir haben sie genutzt. Damals waren Bedenkenträger und Miesmacher unterwegs, die uns daran hindern wollten. Es sind zum großen Teil die gleichen, die heute Stimmung gegen die Europäische Union, gegen die Wirtschafts- und Währungsunion machen. Genau-sowenig wie bei der Deutschen Einheit werden wir uns heute von solchen Überlegungen leiten lassen.

(Unruhe - Ingrid Matthäus-Maier [ SPD] : Stoiber! )

Warum Sie in dem Punkt unruhig werden, weiß ich nicht. Ihr Beitrag zur Deutschen Einheit war denkbar gering; das wissen Sie so gut wie ich.

Meine Damen und Herren, wir sind auf einem guten Weg, das gemeinsame Haus Europa zu errichten. Aber wir wissen auch: Ein Haus, das nur halb vollendet ist, zerfällt wieder. Es wird dem Wind und den Stürmen eines neuen Jahrhunderts, von dem wir alle noch gar nicht wissen, was es uns bringt, auf Dauer nicht stand halten können. Deshalb müssen wir jetzt den Bau des Hauses Europa fortführen und vollenden.

Meine Damen und Herren, mehr denn je gilt, was Konrad Adenauer am 15. Dezember 1954 vor dem Deutschen Bundestag erklärte ich zitiere :

Die Einheit Europas war ein Traum von Wenigen. Sie wurde eine Hoffnung für Viele. Sie ist heute eine Notwendigkeit für uns alle.

Wir stehen vor zwei epochalen Aufgaben, die das Gesicht Europas im bald beginnenden neuen Jahrhundert prägen werden. Es geht zum einen darum, durch die Erweiterung der Europäischen Union und des Nordatlantischen Bündnisses endgültig die Gräben des kalten Krieges auf unserem Kontinent zu überwinden.

Dabei haben wir bereits große Fortschritte erreicht. Vor zwei Tagen hat die Europäische Union offiziell die Verhandlungen zum Beitritt Polens, der Tschechischen Republik, Ungarns, Sloweniens, Estlands und Zyperns aufgenommen, und in der vergangenen Woche haben Bundestag und Bundesrat dem Beitritt Polens, der Tschechischen Republik und Ungarns zur NATO zugestimmt.

Das zweite große Ziel, vor dessen Verwirklichung wir jetzt stehen, ist die gemeinsame europäische Währung. Sie wird der europäischen Einigung eine neue Qualität verleihen. Beides, die Erweiterung der Union und die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion, steht in der Kontinuität der Politik der europäischen Einigung von Konrad Adenauer.

In der deutschen Nachkriegsgeschichte, meine Damen und Herren, ist das europäische Einigungswerk von führenden Persönlichkeiten aus allen demokratischen Parteien nachdrücklich unterstützt und gefördert worden. Ich nenne hier neben Konrad Adenauer stellvertretend für viele Carlo Schmid, Kurt Georg Kiesinger, Franz Josef Strauß und Willy Brandt. Und ich erinnere in dieser Stunde auch mit besonderer Dankbarkeit an die großen europapolitischen Debatten der vergangenen Jahre und Jahrzehnte im Deutschen Bundestag. Ich denke, dies waren Sternstunden des deutschen Parlaments. Heute - das will ich dankbar erwähnen ist es Helmut Schmidt, mein Amtsvorgänger, der mit Leidenschaft und mit strategischen Argumenten für die Europäische Währungs union eintritt.


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