"Es geht auch im Januar"
Sex ist schwer zu kriegen und richtig schön nur bei gutem Wetter. Das weibliche Geschlecht,
meint der französische Kultautor Michel Houellebecq, bleibt die einzige beruhigende
Antwort auf die Ängste der Männer. Aber die Liebe verkommt zur Ware, Profis müssen ran.
Journalist:
Monsieur Houellebecq, in Ihren Romanen entwerfen Sie ziemlich hoffnungslose Bilder:
Lust und Liebe gibt es nicht ohne Selbstmord, Verzweiflung und Qual. Ist Sex wirklich
eine so deprimierende Angelegenheit?
Houellebecq:
Die Menschen leiden vor allem daran, dass es so schwer ist, an Sex zu kommen. Haben
sie mal welchen, kann er sie -- manchmal wenigstens -- für kurze Augenblicke schon
glücklich machen. Ob alle Menschen das Problem haben, weiß ich nicht. Aber bei den
Franzosen der etablierten Mittelschicht -- Wissenschaftlern, Lehrern, Angestellten -- ist es
so. Die haben mehr verlangen und Begierde, als sie befriedigt bekommen können. Und
darunter leiden sie fürchterlich. Bis vor kurzem brauchte man Sex noch, um sich fortzuplanzen. Sex war eine der wichtigsten Aufgaben, die der Mensch im Leben erledigen musste:
Die Zusammensetzung künftiger Generationen hing davon ab und damit auch der Gang
der Weltgeschichte. Außerdem ist Sex, trotz aller Qual, natürlich ein außerordentliches
Vergnügen. Man kann es mit nichts auf der Welt vergleichen. Manchmal macht er sogar
Beziehungen zwischen Menschen möglich.
Es gibt kaum wirkliche Beziehungen. Vielleicht in der Familie oder im Beruf -- aber
nur, wenn man im Team an einer interessanten Sache arbeitet und alle gleich motiviert
sind. Die Meisten haben aber weder solch einen Job noch eine funktionierende Familie
-- die klassische Familienstruktur löst sich ja sowieso rapide auf. Also bleibt nur noch
eins, um die fundamentale Sehnsucht nach Begegnungen mit anderen zu stillen:Sex.Ich
mag Sex schon sehr. Ich denke bestimmt nicht öfter daran als der Durchschnitt der
Bevölkerung, na ja, vielleicht doch. Es hängt vom Tag und von der Jahreszeit ab. In den
Ferien, im Sommer, bin ich freier, da hat man mehr Zeit für Sex. Aber es geht auch
im Januar. Wichtig ist nur, dass das Wetter schön ist. Sex ist das Einzige, was wirklich
funktioniert, wenn man Kälte und Einsamkeit entfliehen will. Alkohol hilft natürlich
auch, allerdings weniger gründlich. Das weibliche Geschlecht ist einzige beruhigende
Antwort auf die Ängste der Männer. Das ist schon enorm.
Swinger-Clubs sind eine großartige Einrichtung, Lust mit möglichst viel Abwechslung
zu haben, ohne gleich die Existenz einer Familie aufs Spiel zu setzen. Wenn man da
einmal pro Woche hingeht, man macht das ja meist samstagabends, wird auch der Sex
mit dem Partner besser. Das Bedürfnis nach etwas Neuem in einem organisierten Swinger-Club
zu stillen ist doch viel fairer als das alte bürgerliche Modell, wo sich der Mann
eine Jüngere nimmt und die andere, von Vergänglichkeit gezeichnete Frau zurücklässt,
die sexuell kaum mehr einen Marktwert hat. Das Mätressen-Modell ist genauso katastrophal:
Da schläft der Mann nämlich nur noch mit seiner Geliebten, aber garantiert nicht
mehr mit seiner Ehefrau.
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