Allein unter Frauen
Bettina Rheims fotografiert fast nur das eigene Geschlecht. Männer irritieren sie
bei der Arbeit.
Journalist:
Sie sollen vor 20 Jahren mit der Fotografie nur aus Langeweile angefangen haben.
Bettina Rheims:
Stimmt, ich habe davor viel gemacht, aber nichts besonders gut. Ich wollte Sängerin
werden, aber hatte keine Stimme. Ich wollte Schauspielerin sein, aber nach ein paar
Filmen hat man mich angefleht, damit aufzuhören. Ich war Model, aber meine Nase war
zu krumm und ich klein. Ich war Sportreporterin und fragte Fußballprofis, wie viele Spieler
zu einer Mannschaft gehören. Auch meine Arbeit in einer Galerie war erfolglos. Ich
musste Röcke tragen und ordentlich sein, stattdessen nahm ich Drogen, und wenn jemand ein Bild kaufen wollte, das mir gefiel, hinderte ich ihn daran.
Irgendwann schenkte mir der damalige Mann meines Lebens einen Fotoapparat, und ich
begann, mich damit zu amüsieren und Frauen an- und auszuziehen wie früher meine Barbies.
Ich hatte einen einzigen Ken, den meine Mutter mir gekauft hatte. Sie war Psychotherapeutin und besorgt, weil sie mich täglich in meinem Barbie-Universum verschwinden
sah. Ich hatte alles, nur keinen Ken. Der, den ich bekam, ist nie aus der Schachtel
rausgekommen. Er trug eine Uniform. Ich fand ihn widerlich.
Abgesehen von geschlechtlosen Typen und Staatspräsident Chirac, dessen offizielles
Foto ich gemacht habe, fotografiere ich nie Männer. Erstens bin ich eine Hautfotografin,
und Männer haben überall Haare. Zweitens sind Frauen lustiger, während Männer sich
zu ernst nehmen. Drittens interessieren mich körperliche Beziehungen zu Frauen gar
nicht. So kann ich Distanz wahren. Wenn ich Männer fotografiere, werde ich dagegen
zu einer ziemlich dämlichen Frau.
Ich möchte etwa meine Brille nicht aufsetzen. Leider bin ich kurzsichtig wie ein Maulwurf.
Schon früher, wenn ich mit einem Jungen ins Kino ging, setzte ich nie meine Brille
auf. War der Film gut, bin ich noch mal alleine hingegangen, mit Brille. Lange hat es mich auch geniert, vor Männern zu essen. Ich ging mit ihnen ins Restaurant und
sagte: Ich habe gar keinen Hunger. Danach fraß ich zu Hause den Eisschrank leer.
Mit Männern ist es so: Entweder interessieren sie mich nicht, warum soll ich sie
dann fotografieren? Oder sie interessieren mich, und dann ziehe ich das Leben der Fotografie
vor, trotz allem.
Mein neues Buch heißt "X'Mas". Mich hat das Wort "Xmas", diese amerikanische Abkürzung
für "Christmas", immer amüsiert, weil mich das X an Pornografie erinnert. Diese Bilder
zeigen falsche Kinder in falschen Kinderzimmern bei falschen Kinderspielen. Alles
in diesem Buch ist letztendlich so falsch. Wie die Geschichten, die man sich als Kind
einbildet etwa von der eigenen Geburtstagsparty, zu der auch der Junge kommen wird,
in den man verliebt ist, weil man sich getraut hat, ihn einzuladen. Dabei hat man
auf dem Schulhof nur irgendetwas Unverständliches genuschelt. Der Junge wird nie kommen,
und man bleibt ganz allein.
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