Gute Noten für die sechsjährige Grundschule - Ergebnisse aus dem Projekt NOVARA/SABA
Vortrag im Rahmen der Mitgliederversammlung des Grundschulverbandes, Landesgruppe Berlin am 23.11.2000
1. Vorbemerkungen
In
den 50-er Jahren schreckte der Sputnik-Schock Politiker und Bildungsexperten auf
mit der Befürchtung, der Westen würde den technologischen Wettlauf gegenüber
den Sowjets verlieren. Heute hat uns der TIMSS-Schock ereilt, weil deutsche Schülerinnen
und Schüler im internationalen Vergleich nur mittelmäßige Leistungen in
Mathematik und Naturwissenschaften erbringen. Damals wie heute werden
grundlegende Verbesserungen unseres Bildungswesens gefordert.
Dennoch sind die Auswirkungen des Sputnik-Schocks nicht mit denen des
TIMSS-Schocks vergleichbar. Damals waren die Politiker bereit, Millionen in das
Bildungswesen zu investieren - heute stehen wir unter Sparzwang, und die Schulen
dürfen unter dem Trostpflaster der Autonomie ihre kargen Gelder selbstständig
verwalten. Damals ging es um die Ausschöpfung der Begabungsreserve und die
Benachteiligten im Bildungswesen, konkret um das katholische Arbeitermädchen
vom Lande. Heute geht es vor allem in Berlin darum, - ich provoziere -, dass die
schwerstbegabten Bonner Beamtenkinder möglichst frühzeitig das rettende
Gymnasium erreichen.
Lassen Sie mich aus der Sicht des Grundschulverbandes und aus der Sicht einer
Grundschulpädagogin zunächst einige Anmerkungen zur gegenwärtigen schul- und
bildungspolitischen Diskussion um die Grundschule machen. Der Grundschulverband
tritt ein für eine möglichst lange gemeinsame Grundschulzeit, wie sie ja auch
schon zu Beginn der Weimarer Republik gefordert wurde. Die vierjährige
Grundschule war damals ein Kompromiss, so wie die sechsjährige Grundschule in
Berlin ebenfalls einen Kompromiss darstellt.
Die
Argumente für (und gegen) die sechsjährige Grundschule sind sattsam bekannt:
- Das dreigliedrige Schulsystem war funktional für eine ständische
Gliederung der Gesellschaft. Wir leben aber heute in einer offenen
demokratischen Gesellschaft, in der zumindest idealerweise Leistung
und Eignung den Bildungs- und Lebenserfolg bestimmen und nicht die Zugehörigkeit
zu einem Stand.
- Die Dreifaltigkeitslehre der Begabung ist überholt. Begabungen lassen
sich nicht fein säuberlich in praktische, theoretische und
theoretisch-praktische Begabungen sortieren.
- Eine längere gemeinsame Grundschulzeit ermöglicht eine bessere Prognose
des Schulerfolgs und führt zu mehr Chancengerechtigkeit. Deutschlands
Schulsystem weist nach Expertenmeinungen die höchste soziale Selektivität auf.
- Längere gemeinsame Zeit gibt mehr Zeit für den Erziehungsauftrag der
Schule: neben der individuellen Förderung die soziale Integration zu fördern.
Die Grundschule ist ja die einzig echte Gesamtschule, da sie tatsächlich die
Schule für alle Kinder des Volkes ist und die Heterogenität der Kinder in
Bezug auf Lernvoraussetzungen, Leistungsfähigkeit, kulturelle und ethnische
Zugehörigkeit nicht nur akzeptiert (im Sinne von toleriert), sondern diese
Verschiedenheit als besondere Chance für vielfältige Lernprozesse in
kognitiver, sozialer und emotionaler Hinsicht ansieht. Allerdings läuft die
Berliner Grundschule Gefahr, dass in der 5. und 6. Klasse das einsetzt, was für
die Gesamtschule als Angebotsschule schon längst der Fall ist und was in verräterischer
Sprache als "creaming effect", die Creme/Sahne abschöpfen, bezeichnet
wird: Die "Schnelllerner" bzw. die Elite gelten ja in Deutschland
schon immer als erste Sahne.
Auf
der anderen Seite gibt es die Befürworter einer kurzen, nur vierjährigen Dauer
der Grundschule. Ihre Befürchtung, die Guten bekämen "zu wenig
Futter", zeigt, dass ihr Leistungsbegriff reduziert ist auf kognitive Förderung.
Diese Befürchtung ist auch schon alt.
“Je länger die geistig Kräftigsten und Anspruchsvollsten mit allen anderen,
auch den Mittelmäßigen und den praktisch, nicht wissenschaftlich Begabten,
zusammen unterrichtet werden, um so mehr werden sie geistiger Zuchtlosigkeit und
Schlaffheit verfallen” (Binder, in: Reichsministerium des Innern 1920, S. 88,
zitiert in: Heyer/Valtin 1991, S. 14).
Zurzeit sind die Fronten in Berlin verhärtet. Die Anhänger der sechsjährigen
Grundschule müssen sich den Vorwurf des Provinzialismus gefallen lassen und die
absurde Behauptung, die sechsjährige Grundschule sei eine heilige Kuh der
Berliner Schulpolitik. Das letzte Argument ist deshalb so perfide, weil es die
Umkehrung einer Feststellung von Hartmut v. Hentig ist: dass nämlich die vierjährige
Grundschule die heilige Kuh in Deutschland Bildungslandschaft sei. Und dort
steht sie weltweit so gut wie allein. Tatsächlich ist nicht nur europaweit,
sondern international eine Grundschuldauer gegeben, die mehr als 5 oder sogar
noch mehr Jahre umfasst (s. dazu das Schaubild in Heyer/Valtin 1991, S. 13).
Viele Industriestaaten haben sogar im Sekundarbereich gesamtschulartige Systeme.
Und die TIMMS-Studie zeigt, dass Einheitsschulen durchaus mit Spitzenleistungen
in Mathematik und Naturwissenschaften vereinbar sind
Es soll hier nicht der Eindruck entstehen, dass ich allein die Dauer der
gemeinsamen Schulzeit als bedeutsamen Faktor für Schulerfolg halte:
entscheidend sind darüber hinaus Lernkultur, Unterrichtsgestaltung und -klima,
Ausbildung der Lehrkräfte. Und in dieser Hinsicht ist auch die Berliner
Grundschule sicherlich verbesserungsbedürftig. Wir sollten es jedoch nicht beim
Austausch ideologischer Argumente belassen. Gefordert sind Evaluationen des
Schulwesens. Damit meine ich nicht nur, wie es jetzt in einigen Ländern
betrieben wird, eine Feststellung des Schulleistungsniveaus, sondern auch eine
Evaluation der Persönlichkeitsentwicklung der Schüler und Schülerinnen.
Dazu möchte ich auf Ergebnisse aus meiner Längsschnittstudie verweisen.
2. Das Projekt NOVARA/SABA
Das
Projekt SABA (Schulische Adaptation und Bildungsaspiration)
untersucht Entwicklung der Schulleistungen und der schulbezogenen Persönlichkeitsmerkmale
von Schülern und Schülerinnen vom 2. bis 6. Schuljahr. Es handelt sich dabei
um die Fortsetzung einer Längsschnittstudie, die im Projekt NOVARA begonnen
wurde. Das von Valtin und Würscher geleitete Projekt NOVARA (Noten-
oder Verbalbeurteilung? Akzeptanz, Realisierung und Auswirkungen)
analysierte aktuelle Transformationsprozesse in Ost- und Westberliner
Grundschulen, und zwar in Bezug auf die Zeugnisreform, die das Ersetzen der
Notenzeugnisse durch Berichtszeugnisse vorsieht. Das Nachfolge-Projekt SABA hat
u. a. folgende Zielstellungen:
- die Beschreibung der schulischen Entwicklung von Schülerinnen und Schülern
in Bezug auf Schulleistung und schulbezogene Persönlichkeitsmerkmale (s. Abb.
1), wobei diverse Gruppen (nach Geschlecht, Herkunft, Schulleistungsniveau)
betrachtet werden;
- die Bestimmung des Beitrags verschiedener Schülermerkmale zur Prognose der
Bildungskarriere (Besuch weiterführender Schulen) sowie ihr Einfluss auf die
Grundschulempfehlung.
Abbildung
1 gibt einen Überblick über das Design der Untersuchung.
Abbildung 1: Überblick über die
Messzeitpunkte von NOVARA/SABA und
die jeweils erhobenen Variablen
Untersuchungsgegenstand | Probanden | MZP1 Beginn 2. Kl. | MZP2 2 Hj. d. 2. Kl. | MZP3 Beginn 3. Kl. | MZP4 2 Hj. d. 3. Kl. | MZP5 Beginn 4. Kl. | MZP6 Beginn 5. Kl. | MZP7 Beginn 6. Kl. |
Beurteilungsformen: Akzeptanz und Funktion | Eltern | X | X | |||||
Beurteilungsformen: Akzeptanz und Funktion | Lehrer | X | X | |||||
Beurteilungsform: Konzept, Akzeptanz und Funktion | Kinder | X | X | X | X | X | ||
Realisierung der Zeugnisse: | Lehrer | |||||||
Auswirkungen: Persönlichkeitsvariablen: Absolutes Fähigkeitsselbstbild |
Kinder | X | X | X | X | X | X | |
Relatives Fähigkeitsselbstkonzept | Kinder | X | X | X | X | X | X | X |
Lernfreunde | Kinder | X | X | X | X | X | X | X |
Subjektive Aufgabenschwierigkeit | Kinder | X | X | X | X | X | X | |
Erklärungsvorstellung bei Erfolg und Misserfolg* | Kinder | X | X | X | X | X | X | |
Leistungsmotivation | Kinder | X | X | |||||
Eigenschaftsängstlichkeit | Kinder | X | X | |||||
Leistungsängstlichkeit | Kinder | X | X | X | X | |||
Selbstwert | Kinder | X | X | X X*** |
||||
Weitere
Variablen Intelligenz |
Kinder | X | ||||||
Allgemeine Schulleistung** | Kinder | X | X | X | X | X*** | ||
Zensuren | Kinder | X | X | X | X | X | X | |
Konzentration | X |
* Vom
5. MZP an wurde lediglich nach den Erklärungsvorstellungen von Misserfolg
gefragt.
** Die Schulleistung wurde jeweils am Ende des zweiten Halbjahres erhoben, da
dies für die hierfür eingesetzten Tests so vorgesehen ist.
Über das Projekt SABA Plus, einer
Zusatzerhebung im 6. Schuljahr, wird aus Gründen der Übersichtlichkeit am Ende
dieses Beitrags berichtet.
Die Stichprobe umfasste zu Beginn des 2. Schuljahrs Schülerinnen und Schüler
sowie deren Eltern und Lehrkräfte aus 41 Klassen von 23 Schulen in 15 Berliner
Bezirken (20 Klassen aus dem Ostteil, von denen am Beginn der Untersuchung im 2.
Schuljahr 11 verbal beurteilt wurden, und 21 Klassen aus dem Westteil der Stadt,
unter ihnen 15 mit verbaler Beurteilung in der 2. Klasse).
Im Verlauf der Jahre haben wir leider einen Stichprobenschwund zu beklagen, so
dass wir im 6. Schuljahr nur noch 34 Klassen untersuchen konnten. Die Anzahl der
Kinder pro Messzeitpunkt lag zwischen 400 und 600.
Zur Stichprobenverzerrung, die bei der Interpretation der Ergebnisse zu berücksichtigen
ist, kann Folgendes angemerkt werden: Zu Untersuchungsbeginn ist sicherlich
wegen der freiwilligen Teilnahme und der erforderlichen Aufgeschlossenheit der
Lehrkräfte für die verbale Beurteilung eine leicht positive Auslese zu
konstatieren, die sich auch in dem leicht erhöhten IQ (CMM von ca. 30) ablesen
lässt. Allerdings vergrößert sich diese Verzerrung nicht. Ein Vergleich der
Kinder, die im 6. Schuljahr noch an der Untersuchung teilnahmen, mit denen, die
zwischenzeitlich ausgeschieden sind, ergibt, dass die Ausgeschiedenen einen
signifikant höheren CMM-Wert sowie bessere Leistungen im AST2-Zahlrechnen
aufweisen; ansonsten bestehen in Bezug auf die anderen Schulleistungstestwerte
und die Zensuren in Klasse 2 keine Unterschiede. Am Ende der Klasse 6 weist
unsere Stichprobe in relevanten Merkmalen nur geringfügige (positive)
Unterschiede zur Gesamtschülerschaft Berlins auf: Der Mittelwert des IQ im CFT
beträgt 103, der Anteil der Kinder mit Gymnasialempfehlung beträgt 31,9 % (in
Berlin 29,3 %).
3.
Ergebnisse
In das Projekt einbezogen wurden alle beteiligten Gruppen: Lehrkräfte, Eltern
und SchülerInnen wurden mehrfach befragt. Wegen des bedauerlich geringen Rücklaufs
des Lehrerfragebogens sollen hier keine Ergebnisse berichtet werden (s. dazu
Rosenfeld/Würscher 1997).
3.1
Eltern
Da Eltern eine große Bedeutung für die schulische
Entwicklung ihrer Kinder haben, sollen zunächst einige Resultate der
Elternbefragungen vorgestellt werden (eine ausführliche Darstellung der
Ergebnisse findet sich bei Valtin/Rosenfeld, im Druck).
Bundesweite Umfragen in Ost und West (so die IFS-Ergebnisse, s. Rolff u. a. 1996
und 1998) deuten gleichermaßen darauf hin, dass die Schule zunehmend unter
Erwartungs- und Leistungsdruck gerät: So werden die Leistungsanforderungen, die
heute in der Schule an die Schülerinnen und Schüler gestellt werden, in den
letzten Jahren für niedriger eingeschätzt. Die Ansprüche an die Schule in
Bezug auf die Erfüllung der Qualifikations- und Erziehungsaufgaben steigen, während
die Zufriedenheit mit der Schule einen Abwärtstrend aufweist.
In zwei Elternbefragungen (im Jahre 1995 und 1999) wurde in unserem Projekt der
Frage nachgegangen, ob sich auch bei den Berliner Eltern (mit längerer
Grundschuldauer) der in den IFS-Umfragen festgestellte Trend zu steigender
Unzufriedenheit beobachten lässt. An der ersten Erhebung (s. Valtin/Rosenfeld
1997) beteiligten sich 467 Eltern aus 41 Klassen, an der 2. Erhebung 364 Eltern
aus 33 Klassen.
Von Interesse für unsere Fragestellung sind vor allem die folgenden Ergebnisse:
a.
Elterliche Einstellungen zur Schule
Die Frage zu den Erziehungszielen, die Eltern in
Familie und Schule als am wichtigsten ansehen, haben wir der ALLBUS-Studie,
einer Repräsentativerhebung (1986), entnommen. Die Eltern sollten jeweils
ankreuzen, welche drei Ziele aus einer Liste von neun vorgegebenen Zielen für
sie am wichtigsten sind. Tabelle 1 zeigt die Ergebnisse zum Bereich Schule.
Tabelle
1: Ergebnisse einer Repräsentativbefragung von 1986 und einer Elternbefragung
von 1999 (Angaben in Prozent):
Was sollten Ihrer Meinung nach die Kinder auf der Schule allgemein lernen?* Bitte wählen Sie drei Punkte aus, die Ihnen am wichtigsten erscheinen!
Allbus 1986 | NOVARA 1999 | |
vielseitiges Wissen | 58 | 81 |
persönliche Selbstständigkeit | 50 | 45 |
eigene Urteilsfähigkeit | 43 | 41 |
Ordnung und Disziplin | 32 | 26 |
Achtung vor Mitmenschen | 30 | 33 |
sicheres Selbstbewusstsein | 27 | 36 |
Kenntnisse für den Beruf | 27 | 14 |
gute Umgangsformen | 17 | 5 |
Lebensfreude | 14 | 15 |
* Mehrfachantworten waren möglich
Aus
den Zahlen ist zu entnehmen, dass die Eltern hohe Ansprüche auch an die
Erziehungsfunktion der Schule stellen.
b. Was
die Angemessenheit der schulischen Anforderungen betrifft, ist
festzustellen, das 24 % Ostberliner und 14 % der Westberliner Eltern (deren
Kinder in die 5. Klasse gehen) sie für zu niedrig halten.
c. Auch die Zufriedenheit mit der Grundschule wurde erhoben. Im
Vergleich mit Eltern, deren Kinder in die 2. Klasse gingen, ist in der 2.
Erhebung (Kinder gehen in die 5. Klasse) eine deutliche Abnahme der
Zufriedenheit mit der Grundschule zu verzeichnen.
Tabelle 2: Zufriedenheit mit der Grundschule (Angaben in Prozent)
“Wenn Sie über die Grundschule insgesamt nachdenken, sind Sie dann ...” |
Elternbefragung 1995 | Elternbefragung 1999 | |||
Ost (N=237) | West (N=230) |
Ost (N=226) | West (N=138) |
||
zufrieden | 41,3 | 46,7 | 29,6 | 32,6 | |
teils zufrieden teils unzufrieden |
55,4 | 49 |
|
56,5 | |
unzufrieden | 3,3 | 4,3 | 9,7 | 10,9 |
Vergleich Eltern 1995 - 1999Ost: chi2 12.631, df 2, p.018 / West: chi29.699, df 2, p.078
Bei
beiden Erhebungen hatten die Eltern die Möglichkeit, auf eine offene Frage zu
schreiben, was ihnen an der Grundschule gefällt und was ihnen missfällt. Die
Inhaltsanalyse der Antworten ergab, dass 1999 deutlich mehr negative Kritik geäußert
wurde als 1995 (dazu Valtin/Rosenfeld 2000). Besonders oft kritisierten Eltern
den häufigen Unterrichts- und Stundenausfall sowie den Wegfall von Förder- und
Teilungsstunden, auch wegen Krankheit der (überalterten) Lehrkräfte. Andere
schlechte Rahmenbedingungen wurden ebenfalls bemängelt: zu große Klassen, häufiger
Lehrerwechsel, schlechte Ausbildung der Lehrer für die Klassen 5 und 6,
Finanznot der Schulen und unzureichende Arbeits- und Lehrmittel, bauliche Missstände,
verkommene Toiletten, zu wenig außerschulische Angebote für den Nachmittag,
hoher Ausländeranteil. Etwas seltener wurde Kritik geübt an den unzureichenden
Leistungsanforderungen der Grundschule und der unzureichenden Vermittlung von
Grundkenntnissen. Relativ selten wurden Inhalte (Fehlen musisch-ästhetischer
und handwerklicher Fähigkeiten) oder Methoden des Grundschulunterrichts bemängelt.
Andere Eltern beschrieben ein wachsendes Aggressionspotenzial auf Seiten der
Kinder, denen genervte, frustrierte und überreagierende Lehrer gegenüberstehen,
die zudem als oft krank und der Großelterngeneration zugehörig eingeschätzt
wurden.
Gelobt wurden vor allem das Engagement einzelner LehrerInnen und ihr Einsatz für
das Klassenklima und die Förderung einzelner Kinder. Eltern würdigten
inhaltlich guten Unterricht, positive Zusammenarbeit in Klassen und Gesprächsbereitschaft
der LehrerInnen auch für Eltern.
Die Kritik der Eltern bezog sich also überwiegend auf schlechte
Rahmenbedingungen der Grundschule und nicht auf Inhalte und Methoden.
3.2
Schülerinnen und Schüler
Im Folgenden können nur einige der zahlreichen Ergebnisse zur
Entwicklung der Schulleistung und der schulbezogenen Persönlichkeitsmerkmale
berichtet werden.
Da es sich in unserer Längsschnittstudie um Kinder aus einem sechsjährigen
Grundschulsystem handelt, sind Vergleiche mit der vierjährigen Grundschule von
Interesse. Wir haben zwei Referenzgruppen:
- in Bezug auf
Dimensionen der Persönlichkeitsentwicklung Kinder aus Bayern (da wir
Instrumente aus der Münchner LOGIC- und SCHOLASTIK-Studie verwendet haben) und
- in Bezug auf
Schulleistungen Kinder aus Hamburg (gleicher Schulleistungstest in Klasse 6,
Vergleich mit der LAU-Studie von Lehmann 1998).
Betrachten
wir zunächst die Persönlichkeitsvariablen der SchülerInnen von Klasse 2
bis 4. Das verwendete Instrumentarium erlaubt Vergleiche zur LOGIC- und
SCHOLASTIK-Studie von Weinert und Helmke (1997) in München, zum Beispiel in
Bezug auf schulbezogene Einstellungen wie Lernfreude, Motivation und
Leistungsangst. Überraschenderweise ist bei den Berliner Kindern im 4.
Schuljahr das erwartete Absinken der Fähigkeitsselbstkonzepte und der
Lernfreude nicht eingetreten. Als Beispiel: Im Vergleich mit bayerischen Kindern
nimmt die allgemeine und fächerspezifische Lernfreude der Berliner Kinder (mit
Ausnahme der Freude an der Rechtschreibung) in den ersten fünf Grundschuljahren
kaum ab. Vor allem auch die schulleistungsschwächeren Schüler und Schülerinnen
berichten eine große Lernfreude. Erst in der 6. Klasse entsprechen die Werte
dann denjenigen der bayerischen Kinder aus der 4. Klasse.
Ebenso
wie in der Münchner Stichprobe war bei den Berliner Kindern ein Absinken der
Leistungsangst vom 3. zum 4. Schuljahr erkennbar (besonders bei Westberliner
Kindern). Allerdings nahm die Leistungsangst zum 5. und 6. Schuljahr in Berlin
zu (s. u.).
Diese
Ergebnisse legen die Schlussfolgerung nahe, dass bei einer längeren Dauer der
Grundschulzeit die negativen Folgen der Selektionseffekte gemildert werden, d.
h. zu einem späteren Zeitpunkt einsetzen.
Wie sieht es nun im 6. Schuljahr aus? Aufgrund
eines Werkvertrags, den ich mit der Senatsschulverwaltung im Sommer letzten
Jahres abgeschlossen habe, konnte ich mit Hilfe der Unterstützung von
Schulpsychologen SABA Plus durchführen. Dabei ging es um folgende Zielsetzungen:
a) Feststellung der Einstellungen von Schülerinnen
und Schülern der 6. Klasse zu Schule und Unterricht.
b) Feststellung der erreichten Leistungsstände von
Schülerinnen und Schülern aus 6. Klassen der Grundschule in Bezug auf wichtige
Kenntnisse, Fertigkeiten und Fähigkeiten.
c) Vergleich der Schulleistungen der Berliner Schüler
und Schülerinnen mit der Vergleichsstichprobe in Hamburg.
Als Erhebungsinstrumente wurden der Fragebogen
“Schule aus der Sicht der Schülerinnen und Schüler” eingesetzt sowie der
Hamburger Schulleistungstest für 6. Klassen.
Die Stichprobe bestand aus 29 bis 34 Klassen der
SABA-Studie. Leider waren nicht alle Schulen bereit, sich an allen Teilen dieser
Untersuchung zu beteiligten (was angesichts der überwiegend positiven
Ergebnisse höchst bedauerlich ist). Die Anzahl der teilnehmenden Schülerinnen
und Schüler beträgt je nach Erhebungsinstrument zwischen 450 und über 600.
a.
Einschätzung von Schulkultur und Schulklima
Innerhalb des Fragebogens wurden auch
schulkulturelle und schulklimatische Merkmale thematisiert. Zu ihrer Erfassung
ist den Schülern die Frage gestellt worden: “Was denkst du über deine
Schule und über deine Klasse?” (Frage 3).
Positives
Klassenklima, Unterstützung und Solidarität
Aus Tabelle 3
sind die entsprechenden Häufigkeitsangaben zum Klassenklima zu
entnehmen. Die Mehrheit der Schüler schätzt dieses als positiv ein. Dies zeigt
sich darin, dass 82 % der Schüler sich in ihrer Klasse “richtig wohl fühlen”.
Damit verwundert es nicht, dass ebenfalls über drei Viertel der Schüler Items
bejahen, die auf die Klassenkohäsion zielen: So stimmen die meisten (85 %) der
Schüler der Aussage voll und ganz bzw. eher zu “Wenn es darauf ankommt, hält
unsere Klasse zusammen”. Ebenfalls vertreten 75 % der Schüler die Meinung
“Wenn einer aus unserer Klasse Hilfe braucht, helfen ihm die anderen Kinder
gern”. Dementsprechend verneinen 76 % Schüler die negativ formulierte Aussage
“In meiner Klasse kümmert sich kaum jemand darum, wenn andere Probleme
haben”. Im Gegensatz dazu fühlen sich fünf bis sechs von hundert Schülern
in ihrer Klasse überhaupt nicht wohl und bekommen von Klassenkameraden keine
Unterstützung. Es scheint Außenseiter in den Klassen zu geben.
Tabelle 3: Positives Klassenklima, Unterstützung und Solidarität (Angaben in Prozent)*
3 | 2 | 1 | 0 | ||||
ja -trifft voll und ganz zu | trifft eher zu | trifft eher nicht zu | nein - trifft überhaupt nicht zu | MEAN | STDV | ||
n=480 | In meiner Klasse fühle ich mich richtig wohl. | 40,4 | 41,9 | 13,3 | 4,4 | 2,2 | 0,8 |
n=484 | Wenn es darauf ankommt, hält unsere Klasse zusammen. | 51,7 | 32,9 | 12,8 | 2,7 | 2,3 | 0,8 |
n=480 | In meiner Klasse kümmert sich kaum jemand darum, wenn andere Probleme haben. | 5,6 | 18,5 | 42,3 | 33,5 | 1,0 | 0,9 |
* Frage 3: Was denkst du über deine Schule und über deine Klasse?
Negatives
Klassenklima und Konkurrenzorientierung
Tabelle 4 enthält Angaben zu Items, die sich auf ein negatives Klassenklima und
die Konkurrenzorientierung beziehen. Im Ergebnis zeichnet sich auch hier ein
positiver Trend ab: Mehrheitlich, das heißt ca. 71 % bis 75 % der Schüler
sagen, die folgenden Aussagen würden nicht bis überhaupt nicht auf ihre Klasse
zutreffen: “Bei uns hat man manchmal das Gefühl, dass sich die Schüler
untereinander keine guten Noten gönnen”, “In unserer Klasse sieht jeder im
anderen den Konkurrenten”. Im Gegensatz zu diesen Items, in denen die
Konfrontation mit den Mitschülern direkt und offen formuliert ist, stimmen mehr
Schüler dem schwächer formulierten Item zu: “In unserer Klasse sieht jeder
nur auf seinen eigenen Vorteil, wenn es um die Noten geht”. Hier sind es über
die Hälfte der Schüler, die der Ansicht sind, dies träfe auf ihre Klasse zu.
Tabelle 4: Negatives Klassenklima und Konkurrenzorientierung (Angaben in Prozent)*
3 | 2 | 1 | 0 | ||||
ja - trifft voll und ganz zu |
trifft eher zu | trifft eher nicht zu | nein - trifft überhaupt nicht zu | MEAN | STDV | ||
n=483 | Bei uns hat man manchmal das Gefühl, dass sich die Schüler untereinander keine guten Noten gönnen. | 8,3 | 20,5 | 43,5 | 27,7 | 1,1 | 0,9 |
n=465 | In unserer Klasse sieht jeder nur auf seinen eigenen Vorteil, wenn es um die Noten geht. | 14,6 | 38,7 | 35,7 | 11,0 | 1,6 | 0,9 |
n=475 | In unserer Klasse sieht jeder Schüler im anderen den Konkurrenten. | 6,3 | 18,7 | 47,2 | 27,8 | 1,0 | 0,9 |
* Frage 3: Was denkst du über deine Schule und über deine Klasse?
Die Tabellen 5 und 6 enthalten eine Übersicht über weitere Dimensionen des Klassenklimas, über die allgemeine schulische Befindlichkeit sowie über die schulische Bewältigungskompetenz. Es zeigt sich, dass sich 86 % der Schüler von ihren Lehrern gerecht behandelt fühlen. Ebenfalls viele Schüler (78 %) verneinen die Aussage, sich in der Schule zu langweilen. Die große Mehrheit der Schüler (88 %) sind der Meinung, sie hätten gelernt, Aufgaben selbstständig zu planen und auszuführen. Es erscheint von daher schlüssig, dass fast ebenso viele Schüler (72 %) die Aussage als unzutreffend betrachten, das Mogeln bei den Hausaufgaben oder das Abschreiben gehöre in ihrer Klasse zum guten Ton.
Tabelle 5: Allgemeine schulische Befindlichkeit (Angaben in Prozent)*
|
3 | 2 | 1 | 0 | |||
ja - trifft voll und ganz zu |
trifft eher zu | trifft eher nicht zu | nein - trifft überhaupt nicht zu | MEAN | STDV | ||
n=485 | Die Lehrerinnen und Lehrer behandeln mich gerecht. | 30,5 | 55,1 | 12,6 | 1,9 | 2,1 | 0,7 |
n=483 | In der Schule langweile ich mich | 3,3 | 18,8 | 61,7 | 16,1 | 1,1 | 0,7 |
* Frage 3: Was denkst du über deine Schule und über deine Klasse?
Tabelle 6: Schulische Bewältigungskompetenz (Angaben in Prozent)*
3 | 2 | 1 | 0 | ||||
ja - trifft voll und ganz zu |
trifft eher zu | trifft eher nicht zu | nein - trifft überhaupt nicht zu | MEAN | STDV | ||
n=480 | Ich habe gelernt, meine Aufgaben selbstständig zu planen und auszuführen. | 35,2 | 53,1 | 10,0 | 1,7 | 2,2 | 0,7 |
n=483 | Bei uns gehört es zum ”Guten Ton”, bei den Hausaufgaben zu ”mogeln” und abzuschreiben. | 8,9 | 18,8 | 42,4 | 29,8 | 1,1 | 0,9 |
* Frage 3: Was denkst du über deine Schule und über deine Klasse?
Aussagen
über die Lehrer
In diesem Teil des Fragebogens geht es um Urteile der Schüler über ihre
Lehrer. Diese wurden mit der Frage erfasst: “Was denkst du über deine
Lehrerinnen und Lehrer?” (Frage 8). Es wurden verschiedene Aussagen über
schulkulturelle und schulklimatische Faktoren vorgegeben, bei denen die Kinder
auf einer vierstufigen Skala angeben sollten, ob und wie viele ihrer Lehrer sich
in der angegebenen Art und Weise verhalten. Tabellen 7 bis 9 geben einen Überblick
über die Antworten zu verschiedenen Dimensionen.
Didaktische Kompetenz:
Fast alle Schüler (91 %) meinen, ihre Lehrer seien daran interessiert, dass sie
etwas lernten. Doch hinsichtlich der Vermittlung des Unterrichtsstoffs fallen
die Urteile negativer aus. Zwar sprechen immer noch 57 % der Schüler der überwiegenden
Mehrheit ihrer Lehrer zu, den Unterricht interessant und spannend zu gestalten,
doch meinen davon nur 10 % der Schüler, alle Lehrer verfügten über diese
Kompetenz.
Tabelle 7: Didaktische Kompetenz (Schulkultur) (Angaben in Prozent)*
3 | 2 | 1 | 0 | ||||
Die Aussage trifft zu für |
alle |
viele | wenige | keine(r) | MEAN | STDV | |
n=482 | Unsere Lehrerinnen und Lehrer interessiert, dass wir wirklich etwas lernen. | 43,2 | 47,7 | 7,9 | 1,2 | 2,3 | 0,7 |
n=483 | Unsere Lehrerinnen und Lehrer halten den Unterricht interessant und spannend. | 9,9 | 47,0 | 37,5 | 5,6 | 1,6 | 0,7 |
* Frage 8: Was denkst du über deine Lehrerinnen und Lehrer?
Positive Lehrer-Schüler-Beziehung:
Dennoch scheint eine gute Schüler-Lehrer-Beziehung zu bestehen. Grund für
diese Annahme ist, dass die Aussagen “Unsere Lehrer verstehen Spaß”,
“Unsere Lehrer haben Verständnis für unsere persönlichen Probleme”
ebenfalls für die meisten Lehrer bejaht werden. Auch hier geben 48 % bis 55 %
der Schüler an, viele Lehrer würden Spaß verstehen und Verständnis für
Problemen der Schüler haben. 6 % bis 11 % sprechen allen Lehrern dieses
Verhalten zu. Trotz dieser positiven Zuschreibungen ist nicht zu übersehen,
dass ein großer Anteil der Schüler dieses Verhalten nur sehr wenigen Lehrern
zuspricht (ca. 35 %). Und immerhin 1 % bis 6 % Schüler meinen, kein Lehrer
verstehe Spaß oder kümmere sich bei Problemen um den Schüler. Zu der Aussage,
dass die Lehrer den Schülern ein Vorbild seien, äußern sich die Schüler
kritisch. Hier sagt ca. ein Viertel der Schüler, kein Lehrer stelle ein Vorbild
dar. 43 % der Schüler erachten nur einen kleinen Kreis von Lehrern als Vorbild.
Ebenfalls ein weiteres Viertel der Schüler sehen in vielen Lehrern ein Vorbild
und 7 % der Schüler sagen, alle Lehrer seien ein Vorbild.
Tabelle 8: Lehrer-Schüler-Beziehung (Schulklima)*
3 | 2 | 1 | 0 | ||||
Die Aussage trifft zu für |
alle |
viele |
wenige | keine(r) | MEAN | STDV | |
n=485 | Unsere Lehrerinnen und Lehrer verstehen Spaß. | 6,2 | 55,3 | 37,3 | 1,2 | 1,7 | 0,6 |
n=482 | Unsere Lehrerinnen und Lehrer haben Verständnis für unsere persönlichen Probleme. | 10,6 | 48,3 | 35,3 | 5,8 | 1,6 | 0,8 |
n=480 | Unsere Lehrerinnen und Lehrer sind für uns Vorbild. | 6,7 | 23,8 | 42,7 | 26,9 | 1,1 | 0,9 |
* Frage 8: Was denkst du über deine Lehrerinnen und Lehrer?
Pejoratives
Lehrerverhalten
Obwohl die Meinungen der Schüler zu den zuvor beschriebenen Aussagen eher
gemischt ausfallen, zeigt sich weiter, dass die Mehrheit der Schüler meint, der
größte Teil ihrer Lehrer verhielte sich ihnen gegenüber nicht abwertend. Im
Gegensatz dazu sind es nur 20 % der Schüler, die angeben, viele bzw. alle ihre
Lehrer würden sie wie kleine Kinder behandeln oder sie blamieren, wenn sie
etwas falsch gemacht haben.
3 | 2 | 1 | 0 | ||||
Die Aussage trifft zu für |
alle |
viele |
wenige | keine(r) | MEAN | STDV | |
n=481 | Unsere Lehrerinnen und Lehrer behandeln uns wie kleine Kinder. | 4,4 | 14,8 | 46,4 | 34,5 | 0,9 | 0,8 |
n=482 | Unsere Lehrerinnen und Lehrer blamieren einen Schüler, wenn er etwas falsch macht. | 3,5 | 16,8 | 45,6 | 34,0 | 0,9 | 0,8 |
* Frage 8: Was denkst du über deine Lehrerinnen und Lehrer?
b.
Lernfreude
Aus den beiden folgenden Tabellen 10 und 11 sind die Angaben zur allgemeinen und
fachspezifischen Lernfreude zu entnehmen. Den Schülern wurden dazu die
folgenden Fragen gestellt: “Wie gerne gehst du zur Schule?” (Frage 1)
und “Wie gerne magst du die einzelnen Fächer?” (Frage 2).
Allgemeine
Lernfreude:
Die Hälfte der Schüler der
sechsten Klassenstufe geht “gerne” bis “sehr gerne” zur Schule. Ebenso
viele Schüler (40 %) können sich nicht entscheiden, ob sie “gerne” oder
“weniger gerne” zur Schule gehen, und ordnen sich daher der mittleren
Antwortmöglichkeit “weder/noch” zu. Allerdings gehen auch 11 von hundert
befragten Kindern weniger bis gar nicht gern zu Schule.
Tabelle 10: Allgemeine Lernfreude (Angaben in Prozent)*
4 | 3 | 2 | 1 | 0 | ||||
sehr gerne | gerne | weder noch | weniger gerne | gar nicht gern | MEAN | STDV | ||
n=458 | 6,6 | 42,1 | 40,2 | 7,4 | 3,7 | 2,4 | 0,9 |
* Frage 1: Wie gerne gehst du zur Schule? Kreuze bitte das Gesicht an, das am besten zeigt, wie gerne du zur Schule gehst.
Fachspezifische
Lernfreude
Fragt man die Schüler nach der
Beliebtheit der einzelnen Fächer, werden fachspezifische Differenzen erkennbar.
Am beliebtesten ist Sport. 84 % der Schüler geben an, dieses Fach “sehr
gerne” bis “gerne” zu mögen. Auch Kunst und Lesen stehen hoch in der
Gunst der Schüler - immerhin mögen diese Fächer 74 % Schüler “gerne” bis
“sehr gerne”. In der Rangordnung folgen Mathematik und Englisch - diese Fächer
mögen immerhin noch etwas mehr als über die Hälfte der Schüler gerne bis
sehr gerne. Das Schlusslicht stellt das Fach (Recht)Schreiben dar. Nur ein
Drittel der Schüler scheint es zu mögen; ein anderes Drittel der Schüler
lehnt Schreiben deutlich ab. Neben Englisch ist Schreiben das unbeliebteste
Unterrichtsfach. Allerdings lehnen insgesamt nur wenige Schüler die einzelnen Fächer
völlig ab: Nur 2 % Schüler geben an, Lesen und Sport “gar nicht gerne” zu
mögen, 4 % bis 5 % mögen die Fächer Mathematik und Kunst gar nicht, und 6 %
bis 7 % mögen Englisch und Schreiben gar nicht.
Tabelle 11: Fachspezifische Lernfreude (Angaben in Prozent)*
4 | 3 | 2 | 1 | 0 | ||||
sehr gerne | gerne | weder noch | weniger gerne | gar nicht gern | MEAN | STDV | ||
n=486 | Lesen | 28,4 | 45,3 | 17,9 | 6,2 | 2,3 | 2,9 | 1,0 |
n=486 | Schreiben | 4,1 | 25,5 | 4,34 | 20,2 | 6,8 | 2,0 | 1,0 |
n=484 | Englisch | 19,2 | 36,2 | 24,4 | 14,3 | 6,2 | 2,5 | 1,1 |
n=485 | Mathe | 23,5 | 34,6 | 26,2 | 10,9 | 4,7 | 2,6 | 1,1 |
n=486 | Sport | 58,8 | 25,3 | 8,8 | 4,7 | 2,3 | 3,3 | 1,0 |
n=486 | Kunst | 39,7 | 34,6 | 15,0 | 6,4 | 4,3 | 3,0 | 1,1 |
* Frage 2: Wie gerne magst du ... ? Kreuze bitte das Gesicht an, das am besten zeigt, wie gerne du die einzelnen Fächer magst.
c.
Fähigkeitsselbstbild
Wie bei Frage 2, bei der die Schüler auf einer Fünferskala angeben sollten,
wie gerne sie die einzelnen Fächer mögen, wird das fachbezogene Fähigkeitsselbstbild
zu den einzelnen Fächer erfasst. Den Schülern wurde die Frage gestellt “Wie
schätzt du deine Fähigkeiten ein?” (Frage 7). Hier sollten die Kinder
bei jedem Schulfach auf einer 5-stufigen Skala angeben, wie sie sich im
Vergleich zu den Mitschülern einordnen.
Die meisten Schüler ordnen sich in ihren Fähigkeiten bezüglich der einzelnen
Fächern entweder zu den “Mittelguten” oder zu “den Guten, aber nicht den
Besten” ein. Bildet man eine Rangordnung der Fächer, bei denen sich die
meisten Kinder als “der Beste” betrachten bzw. zu den Besseren zählen,
steht das Fach Sport an oberster Stelle (59 %). Es folgen die Unterrichtsfächer
Bildende Kunst (55 %), Lesen (47 %), Englisch (39 %) und Mathematik (39 %). In
Rechtschreiben zählen sich die wenigsten Schüler zur Leistungsspitze der
Klasse (30 %). Zu den schlechteren Schülern bzw. den schlechtesten Schülern zählen
sich die meisten Kinder in Rechtschreiben (17 %), gefolgt von Englisch (13 %),
Mathematik (8 %), Sport (7 %), Lesen (5 %) und letztlich Bildende Kunst (4 %).
d.
Leistungsangst
Zur Leistungsangst, die mit der Frage “Wie schätzt du dich selbst ein?”
(Frage 5) erfasst wurde, wurden im Fragebogen sieben Antworten vorgegeben. Die
Kinder wurden gebeten zu sagen, ob jede dieser Aussagen auch auf sie zutrifft
oder nicht.
Sorgen:
Ca. 30 % der Kinder machen sich
entweder abends im Bett oder auf dem Schulweg Sorgen um ihre schulischen
Leistungen. Die Angst davor, nicht in die nächste Klasse versetzt zu werden,
besteht bei 24 % der Schüler (s. Tabelle 12).
Tabelle 12: Sorgen (Angaben in Prozent)*
1 | 0 | ||
ja | nein | ||
n=484 | Wenn du abends im Bett liegst, machst du dir dann manchmal Sorgen, wie du am nächsten Tag im Unterricht abschneiden wirst? | 32,2 | 67,8 |
n=482 | Machst du dir auf dem Schulweg manchmal Sorgen, die Lehrerin/der Lehrer könnte heute nachprüfen, wie gut du in der Schule bist? | 30,5 | 69,5 |
n=484 | Machst du dir Sorgen, ob du in die siebte Klasse versetzt wirst? | 24,0 | 76,0 |
* Frage 5: Wie schätzt du dich selbst ein?
Tabelle 13 zeigt, dass fast ein Drittel der Kinder angeben, Angst vor einer Mathematikarbeit oder einem Diktat zu haben.
Tabelle 13: Angst (Angaben in Prozent)*
1 | 0 | ||
ja | nein | ||
n=483 | Wenn die Lehrerin sagt, dass ihr eine Mathearbeit schreibt, hast du dann Angst davor? | 31,5 | 68,5 |
n=481 | Wenn die Lehrerin sagt, dass ihr ein Diktat schreibt, hast du dann Angst davor? | 28,3 | 71,7 |
* Frage 5: Wie schätzt du dich selber ein?
e.
Nachhilfeunterricht
Nur 17 % der Befragten geben an, Nachhilfeunterricht zu erhalten. Etwa 3 % Schüler
nehmen an 3 und mehr Stunden Nachhilfe wöchentlich teil. Die Mehrheit der Schüler
(60 %) erhält Nachhilfe bei einem Nachhilfeinstitut (z. B. Schülerhilfe,
Studienkreis), die anderen durch private Anbieter (Studenten, ältere Schüler).
Schüler mit einer Gymnasialempfehlung geben an, keinen Nachhilfeunterricht zu
erhalten. Nachhilfeunterricht erhalten am häufigsten die Schüler mit einer
Hauptschulempfehlung.
f.
Einstellungen zur Dauer der Grundschule
Ferner sollten die Kinder einschätzen, ob sie die vier- oder sechsjährige
Grundschule besser finden. Die überwiegende Mehrheit (88 %) sprach sich für
die sechsjährige Dauer aus. Besonders die Schüler mit einer
Realschulempfehlung (92 %) finden die sechsjährige Grundschulzeit besser als
die vier Jahre dauernde Grundschule. Im Vergleich dazu begrüßen 85 % Schüler
mit einer Gymnasialempfehlung und 80 % mit einer Hauptschulempfehlung die sechsjährige
Grundschulzeit.
g.
Schulleistungsstand und -Vergleich
Bei diesem Untersuchungsbereich ging es um folgende Fragen:
-
Wie ist der Leistungsstand von Schülerinnen und Schülern am Ende der 6.
Jahrgangsstufe im Hinblick auf Fähigkeiten und Kenntnisse in den fachbezogenen
Lernbereichen Sprachverständnis, Leseverständnis, Rechtschreibung,
Kommasetzung, Mathematik und Englisch und im Hinblick auf fächerübergreifende
Bereiche (Problemlösen)?
-
Gibt es Unterschiede in den Schulleistungen zwischen den Hamburger
und Berliner Schülerinnen und Schülern, die verschiedene Schularten besuchen
bzw. verschiedene Grundschulempfehlungen haben?
Insgesamt fällt der Vergleich mit den Hamburger Kindern der LAU-Studie (Daten
wurden uns von Prof. Lehmann zur Verfügung gestellt) günstig aus. Die Berliner
SchülerInnen hatten signifikant bessere Leistungen in den Untertests
Mathematik, Deutsch und vergleichbare Leistungen in Englisch und Problemlösen.
Diese Unterschiede verschwinden allerdings, wenn man den etwas höheren IQ der
Berliner Kinder berücksichtigt (in Berlin M=103 im CFT, in Hamburg M=100).
Von Interesse ist vor allem die Frage, wie die zukünftigen Berliner
Gymnasiasten im Vergleich mit den Kindern abschneiden, die in Hamburg bereits
das zweite Gymnasialjahr besuchen. Berücksichtigt man nur die Berliner Kinder
mit einer Gymnasialempfehlung, so ergeben sich vergleichbare bzw. positivere
Leistungen in allen Fächern. Dieser Vergleich ist jedoch unfair, da nur ca. 32
% der Berliner Kinder eine Gymnasialempfehlung erhalten haben, in Hamburg aber
über 40 % des Jahrgangs ein Gymnasium besuchen. Berücksichtigt man diesen
Sachverhalt, so lässt sich dennoch konstatieren, dass es keine bedeutsamen
Differenzen zu Lasten der zukünftigen Berliner Gymnasiasten gibt und dass es
zumindest in einigen Berliner Grundschulklassen gelingt, SchülerInnen in den
Hauptfächern vergleichbar zu fördern, und dies ohne Fachlehrer und ohne äußere
(oder bedeutsame innere) Differenzierung.
4.
Abschließende Bemerkungen
Zum Abschluss sollen die Ergebnisse der Studie noch einmal zusammenfassend
unter der Frage: “Gute Noten für die sechsjährige Berliner Grundschule?”
beantwortet werden.
Zunächst zu den Eltern: Ebenso wie in bundesweiten Befragungen zeigten sich
gestiegene bzw. hohe Erwartungen der Eltern an die Leistungsfähigkeit der
Schule, sowohl in Bezug auf die Qualifikationsfunktion und die
Verwertungsoptionen schulischer Bildungsabschlüsse als auch auf die von der
Schule zu erbringenden Erziehungsaufgaben. Gleichzeitig ist eine starke Abnahme
der Zufriedenheit der Eltern (von der 2. bis zur 5. Klasse) feststellbar, wobei
sich die Kritik jedoch vor allem auf die schlechten Rahmenbedingungen richtet,
weniger auf die grundschulspezifischen Inhalte und Methoden oder das Engagement
der Lehrkräfte. Fast ein Drittel der Eltern sprechen sich sogar für eine Verlängerung
der gemeinsamen Schulzeit auf 8 bis 10 Jahre aus. Die Notengebung der Eltern in
Bezug auf die Grundschule ist also gespalten: eher gut für die A-Note (Inhalt),
aber ungenügend für die B-Note (Ausführung).
Nun zu den Schülerinnen und Schülern: Bei ihnen ist das im Verlauf der vierjährigen
Grundschulzeit normalerweise zu beobachtende Absinken der Lernfreude und der Fähigkeitsselbstkonzepte
nicht zu beobachten. Erst im 5. und 6. Schuljahr ist ein derartiges Absinken zu
konstatieren. Die Selektionswirkungen der vierjährigen Grundschulzeit scheinen
also gemildert zu werden.
Wie die Auswertungen des am Ende der 6. Klasse eingesetzten Fragebogens
"Schule aus der Sicht von Schülerinnen und Schülern" zeigen, hatten
die Befragten insgesamt eine sehr günstige Einstellung zur Schule, zum Schul-
und Klassenklima und zur Lehrer-Schüler-Beziehung. Allerdings hatten SchülerInnen
mit Gymnasialempfehlung in fast allen Dimensionen günstigere Ergebnisse als SchülerInnen
mit Realschul- oder Hauptschulempfehlung Für das 7. Schuljahr werden gegenwärtig
im Projekt SABA Plus die Fragebogendaten von fast 3000 SchülerInnen ausgewertet
unter der Fragestellung, ob und welche Unterschiede zwischen unterschiedlichen
Schulformen (fort)bestehen.
Grundschule scheint also einen Teil ihres gesellschaftlichen Auftrags, nämlich
die Persönlichkeitsentwicklung der SchülerInnen, recht gut zu erfüllen. Um so
erfreulicher ist es, dass auch in Bezug auf die Schulleistungsentwicklung, wie
der Vergleich mit Hamburg zeigt, festzustellen ist, dass es der Grundschule
gelingt, auch die zukünftigen GymnasiastInnen angemessen in den Hauptfächern
Deutsch, Mathematik und Englisch zu fördern - und dies ohne äußere
Differenzierung.
Soweit es die Ergebnisse des SABA-Projekts betrifft, lässt sich also
zusammenfassend feststellen, dass die sechsjährige Grundschule in Berlin keinen
Grund hat, weiterhin in der Defensive zu verbleiben.
Was die gegenwärtig geforderte Evaluation unseres Schulsystems betrifft, so
sind unbestreitbar Überprüfungen der Qualitätssicherung notwendig. Allerdings
sollte dabei ein erweiterter pädagogischer Leistungsbegriff zu Grunde gelegt
werden, der nicht nur die kognitiven Leistungen, sondern auch die Persönlichkeitsentwicklung
umfasst. Gar nicht angesprochen habe ich hier einen weiteren Aspekt, der auch in
anderen Ländern eine große Bedeutung hat, nämlich der Beitrag, den die lange
gemeinsame Grundschulzeit zur sozialen Integration (Solidarität, Toleranz gegenüber
Andersdenkenden) und zur staatsbürgerlichen Erziehung leistet. Letzteres im
Sinne des von Willi Brandt geprägten Wortes: “Die Schule der Nation ist die
Grundschule”. Aber die empirische Überprüfung dieses Bereichs möchte ich
anderen überlassen.
Literatur
Allgemeine Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften (ALLBUS). Infra-Test. München 1986 und 1992
Heyer, P./Valtin, R. (Hrsg.): Die sechsjährige Grundschule in Berlin. Arbeitskreis Grundschule e.V., Frankfurt/M. 1991
Lehmann, R./Peek, R./Gänsfuß, R.: Aspekte der Lernausgangslage und der Lernentwicklung - Jahrgangsstufe 7. Bericht über die Voruntersuchung in zwei Hamburger Schulaufsichtsbezirken im September 1997, Hamburg 1998 (unveröff. Forschungsbericht)
Rolff, H.-G. u. a.: Jahrbuch der Schulentwicklung. Band 9. Weinheim/München 1996
Rolff, H.-G. u. a.: Jahrbuch der Schulentwicklung. Band 10. Weinheim/München 1998
Rosenfeld, H./Valtin, R.: Zur Entwicklung schulbezogener Persönlichkeitsmerkmale bei Kindern im Grundschulalter. Erste Ergebnisse aus dem Projekt NOVARA. In: Unterrichtswissenschaft, Zeitschrift für Lernforschung, H. 4/1997, S. 316-330
Valtin, R./Rosenfeld, H.: Zur Präferenz von Noten- oder Verbalbeurteilung - Ein Vergleich Ost- und Westberliner Eltern. In: Zeitschrift für Pädagogik, 37. Beiheft, 1997, S. 293-304
Valtin, R./Rosenfeld, H.: Einstellungen und Meinungen von Eltern zur Grundschule, GSV aktuell, Mai 2000, S. 12-17
Weinert, F. E./Helmke, A.: Entwicklung im Grundschulalter. Weinheim 1997