IAA.htm Deutschland braucht weiterhin klaren und beständigen Kurs

Rede des Bundeskanzlers in Hannover

Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl hielt anläßlich der Eröffnung der 57. Internationalen Automobil-Ausstellung Nutzfahrzeuge am 2. September 1998 in Hannover folgende Rede :

I.

Herr Ministerpräsident,
Herr Oberbürgermeister,
sehr geehrter Herr Gottschalk,
Exzellenzen, meine sehr verehrten Damen und Herren,

zunächst darf ich Ihnen die herzlichen Grüße der Bundesregierung überbringen. Mein besonders herzlicher Gruß gilt auch unseren vielen ausländischen Gästen. Ich wünsche mir, daß Sie nach wie ich hoffe für Sie erfolgreichen Messetagen mit der festen Absicht aus Hannover scheiden, spätestens zur EXPO 2000 wiederzukommen.

Meine Damen und Herren, ich bin heute gerne gekommen, um mit Ihnen die 57. Internationale Automobil-Ausstellung Nutzfahrzeuge zu eröffnen. Zunächst möchte ich eine kurze Bemerkung zu einer kritischer gewordenen internationalen Lage machen. Dies ist angemessen, zumal wir uns hier im Kreis international operierender Unternehmen befinden. Ich schicke voraus Wahlkampf hin, Wahlkampf her , daß ich nichts davon halte, derartige internationale Entwicklungen, deren Ende niemand absehen kann, unter Wahlkampfgesichtspunkten zu betrachten. Ich hoffe, daß die Demokraten in Deutschland in der Lage sind zu unterscheiden, was sie untereinander im Streit austragen der muß sein und was wir tun müssen, um gemeinsam die Zukunft unseres Landes zu sichern.

Die Entwicklungen in Asien und Rußland sowie im früheren Jugoslawien und im Kosovo verdienen unsere höchste Aufmerksamkeit. Die Ereignisse unterstreichen einmal mehr, daß es ein Irrtum ist zu glauben, daß wir Urlaub von der Geschichte hätten. Ich sage dies gerade auch für Deutschland. Als eines der großen Industrieländer der Welt und als gemessen an Bevölkerungszahl und Wirtschaftskraft Nummer eins in Europa haben wir auch internationale Verpflichtungen.

Unsere Besorgnis gilt in diesen Tagen insbesondere der Entwicklung in Rußland. Ich kann noch kein abschließendes Urteil. darüber abgeben, was US-Präsident Clinton bei seinem Besuch in diesen Tagen in Moskau mit Boris Jelzin und Viktor Tschernomyrdin besprechen konnte. Aus unseren regelmäßigen und intensiven Kontakten auch mit meinen europäischen Kollegen weiß ich, daß wir alle uns einig sind.


Wir hoffen, daß das russische Parlament, die Duma, den Ministerpräsidenten in dieser Woche bestätigen wird, damit das Land eine national wie international handlungsfähige Regierung erhält. Wir hoffen zugleich, daß diese Regierung auch mit Unterstützung des Präsidenten alles tut, damit der Prozeß der Reformen in Rußland nicht zurückgenommen, sondern fortgesetzt wird. Es ist für uns alle existentiell, daß in Rußland eine freiheitliche und rechtsstaatliche Demokratie, eine offene marktwirtschaftliche Ordnung und der Weg zu sozialer Stabilität was immer auch gleichbedeutend ist mit demokratischer Stabilität vorangebracht werden.

Zu den von manchen mit Blick auf Rußland jetzt erhobenen Forderungen nach internationalen Konferenzen habe ich eine klare Meinung. Ich bin natürlich bereit, gegebenenfalls daran teilzunehmen. Allerdings muß man dabei sehen, daß im Zusammenhang mit solchen internationalen Treffen regelmäßig die Forderung nach neuem Geld aufkommt. Klar ist auch: In der jetzigen Situation würde es Rußland und uns allen schaden, Versprechungen zu machen, die am Ende dazu führen, daß jene Kräfte geschwächt werden, die den Weg der Vernunft weiter vorangehen. Es liegt an Rußland selbst, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um das Land dauerhaft aus der Krise zu führen man muß das unter Freunden aussprechen, ich sage dies bewußt auch aufgrund meiner sehr persönlichen und freundschaftlichen Beziehung zu diesem Land.

Wir werden Rußlands Reformkurs weiter unterstützen. Wir wollen dies um der Menschen willen tun. Die Menschen in der früheren Sowjetunion und dem heutigen Rußland haben nach einem dreiviertel Jahrhundert, nach Jahrzehnten unter dem Joch des Kommunismus, heute zum ersten Mal wenn auch unter unendlichen Schwierigkeiten die Chance, eine neue Zeitrechnung zu beginnen. Gerade wir Deutschen haben aus den negativen wie positiven Erfahrungen unserer Geschichte in diesem Jahrhundert heraus hier eine besondere Verpflichtung. Dies wollen wir auch über fünfzig Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs nicht vergessen.

Wir wollen auch nicht vergessen, daß ohne die Zustimmung der Verantwortlichen in Moskau die Situation im wiedervereinten Deutschland, insbesondere in den neuen Ländern, heute eine andere wäre. Ich denke vor allem an die Abmachung aus dem Jahre 1990 über den Abzug der russischen Truppen im Jahr 1994. 1993 gab es eine Situation, in der diese Abmachung noch einmal in Frage gestellt wurde. Es ging darum, ob die russischen Truppen 1994 oder erst später abziehen würden. Dies unterstreicht, daß wir den Verantwortlichen in Moskau auch dafür zu danken haben, daß die ursprüngliche Abmachung eingehalten wurde und mit dem Abzug der Truppen im Jahr 1994 eine entscheidende Phase deutscher Nachkriegspolitik abgeschlossen werden konnte.

Meine Damen und Herren, wir müssen bei der gegenwärtigen Situation auch an die Nachfolgestaaten der früheren Sowjetunion denken. Wenn die Ereignisse in Rußland und in Moskau nicht zu dem von uns gemeinsam gewünschten guten Ende kommen, dann hat dies ganz unmittelbare Auswirkung auf sie allen voran auf die Ukraine. Die Fortsetzung des Reformprozesses in Rußland ist auch deshalb von allergrößter Bedeutung. Ich sage dies um so deutlicher in einem Augenblick, in dem Polen, Tschechien und Ungarn der NATO beitreten konnten zwar nicht mit freudiger, aber immerhin mit geduldeter Zustimmung von Moskau und in dem Wir mit großer Sympathie ins Baltikum hinüberschauen. Meine Damen und Herren, wir werden alles tun ich sage das für die Bundesregierung, aber auch für mich persönlich , um Rußland auf dem Weg der Reformen hilfreich zu sein.

Ich möchte ebenfalls ein kurzes Wort zu den Entwicklungen in Asien und dem drastischen Kursverlust an den Börsen, vor allem in Japan, sagen. Auch hier gilt, daß die Probleme von innen gelöst werden müssen. Bei meinen Gesprächen in den vergangenen Tagen und Wochen mit dem japanischen Ministerpräsidenten habe ich nicht zuletzt immer darauf hingewiesen, daß auch die Japaner als ein Teil der G7 /G8-Vereinbarungen ihre Gesamtverantwortung für die Weltwirtschaft wahrnehmen müssen.

Die weltweiten Turbulenzen an den Finanzmärkten zeigen insgesamt, daß die Weltwirtschaft in schwierigeres Fahrwasser gerät. Um so wichtiger ist es, daß Europa sprich die Europäische Union und die USA jetzt alles tun, um zur Stabilisierung der Weltwirtschaft beizutragen. Dies ist für uns alle wichtig. Es ist für uns Deutsche noch wichtiger als für viele andere. Als Land in der Mitte unseres Kontinents, in unmittelbarer Nachbarschaft zu den Staaten in Mittel- und Osteuropa und als Exportland Nummer zwei in der Welt sind wir in besonderer Weise auf ein stabiles, internationales Umfeld angewiesen.

Von großem Vorteil ist, daß wir heute gleichzeitig ausgezeichnete Beziehungen zu Washington, Paris, London und Moskau, aber auch zu Tokio und Peking haben. Von unserem Land wird erwartet, daß wir unseren verläßlichen, geradlinigen Kurs fortsetzen und auch in kritischen Zeiten zu unseren Freunden und Partnern stehen. Es muß der Satz gelten: Wir kommen zu Freunden und Partnern auch dann, wenn sie sich in Schwierigkeiten befinden, und nicht nur, wenn gefeiert wird. Dies muß auch in Zukunft ein Signum deutscher Politik sein.

II.

Meine Damen und Herren, ich freue mich heute ganz besonders darüber, einen solchen Erfolgsbericht zu hören, wie Sie, Herr Gottschalk, ihn soeben für Ihre Branche dargestellt haben. Die Zahlen sind sehr eindrucksvoll. Sie stehen dafür, daß die Branche im Vorfeld der Messe in einer glänzenden Situation ist und optimistisch in die Zukunft schaut. Ganz prima finde ich außerdem, daß Sie selbst dies kundtun. Normalerweise gehört es in Deutschland ja zum guten Stil, nicht zuzugeben, wenn es einem gut geht!

Die deutschen Nutzfahrzeughersteller erleben pünktlich zur 57. IAA Nutzfahrzeuge einen Absatzboom. Ich nenne nur einige aktuelle Zahlen für den Monat Juli: Die Inlandsbestellungen für schwere Lkws sind um 30 Prozent gegenüber Juli vergangenen Jahres gestiegen, Produktion und Neuzulassungen bei Nutzfahrzeugen um 17 Prozent beziehungsweise 23 Prozent. Dies ist eine ausgezeichnete Ausgangsbasis für den Messeverlauf.

Über 1200 Aussteller aus 39 Ländern werden in den nächsten Tagen ihr vielfältiges Angebot rund um Nutzfahrzeuge präsentieren. Die große Zahl der Aussteller zeigt erneut die hohe Attraktivität dieser in der Branche weltweit bedeutendsten Fachmesse. Die IAA Nutzfahrzeuge ist zugleich eine eindrucksvolle Leistungsschau und Ausweis der hohen Innovationsfähigkeit und technischen Leistungsfähigkeit der Branche. Dies unterstreichen auch die zahlreichen technologischen Innovationen und Modellneuheiten, die erstmals auf dieser Messe der Öffentlichkeit vorgestellt werden. Das Messeangebot macht vor allem auch deutlich, daß sich die Nutzfahrzeugbranche auf neue Herausforderungen eingestellt hat und auf die Zukunft gut vorbereitet ist.

Die Bundesregierung hält an ihrem klaren Ja zum Auto auch zum Nutzfahrzeug fest. Das Auto ist und bleibt in unserer modernen Wirtschaft und Gesellschaft unverzichtbares Beförderungs- und Transportmittel. Nur ein Beispiel: Viele Menschen haben ihren Arbeitsplatz in den Ballungszentren und wohnen außerhalb, in der Fläche.

Meine Damen und Herren, dies macht deutlich: Wer naßforsch gegen das Auto redet, redet zugleich gegen elementare Interessen der Menschen. Das Auto ist ein Stück gelebte Freiheit, es ist zugleich ein Stück Lebensqualität. Das Auto steht für Handel, Wachstum und Wohlstand, für Mobilität und Flexibilität. Das Motto der 57. IAA Nutzfahrzeuge "Nutzfahrzeuge verbinden" ist deshalb gut gewählt, es spiegelt seinen Stellenwert zutreffend wider.

In diesem Sinne wird die Bundesregierung auch in Zukunft alles tun, um die Automobil-Industrie und die Nutzfahrzeug-Wirtschaft zu unterstützen. Ich nenne nur ein aktuelles Beispiel: In der letzten Bundesratssitzung vor der Sommerpause haben wir die Steuerbefreiung für die in der Bauwirtschaft eingesetzten Autokräne, Radlader und sonstige Arbeitsmaschinen durchgesetzt. Wir mußten dies unnötigerweise, aber dies ist in Wahljahren so - gegen den hartnäckigen Widerstand des Bundesrates tun. Wir haben ebenfalls Pläne für die höhere Besteuerung kleiner Lkws verhindert - allein dadurch hätte sich für rund 2 Millionen Betriebe die Kfz-Steuer für ihre Nutzfahrzeuge mehr als verdoppelt. Beide Vorhaben hätten vor allem den Mittelstand und das Handwerk getroffen; sie wären mit über 1 Milliarde D-Mark im Jahr zusätzlich belastet worden.

Wenn ich hier für das Auto und das Nutzfahrzeug eintrete, dann singe ich nicht ein mißverständliches Loblied auf das Auto ohne Wenn und Aber. Natürlich muß man ebenfalls die Schattenseiten des Straßenverkehrs sehen. Es ist wahr, daß damit auch Staus, Lärmbelästigung und Luftbelastung mit Schadstoffen verbunden sind. Wahr ist zugleich, daß die Zahl der Bürger zugenommen hat, die immer weniger bereit sind, dies zu akzeptieren.


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