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Chris Patten


Mitglied der Europäischen Kommission zuständig für Außenbeziehungen


Eine europäische Außenpolitik : Anspruch und Wirklichkeit


Institut Français des Relations Internationales (IFRI)


Paris, den 16. Juni 2000


Vor mehr als 40 Jahren wollte der erste Präsident der Europäischen Kommission, Walter Hallstein, den Beziehungen der Kommission zu den Vertretern der Drittländer in Brüssel einen formellen Rahmen geben. Präsident de Gaulle wies ihn scharf zurecht und spottete über dieses "künstliche Land, das dem Kopf eines Technokraten entsprungen war". Ich nehme an, daß einige - nicht zuletzt in dem Land, das wir in der Kommission gemeinhin "als das Land, das ich am besten kenne" bezeichnen, diese Rede gleichfalls als einen unerlaubten Ausflug in dieses künstliche Land ansehen werden. All dies ist nicht verwunderlich. Denn die Außenpolitik berührt den Kern einer Nation. Und die Rolle der Kommission ist nach wie vor umstritten. Sofern es um Handelspolitik oder Landwirtschaft geht, wissen wir, wo wir stehen. Hier handelt die Kommission mehr oder weniger nach der brillanten Vision von Jean Monnet. Aber was genau ist die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik ? Sollten die Mitgliedstaaten ihretwegen bereit sein, ihre nationalen Instinkte aufzugeben ?

Diese Fragen erhielten nie eine befriedigende Antwort. Die Geschichte ist voller fehlgeschlagener Versuche, eine Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik zu schaffen, die mehr ist als die Summe ihrer Bestandteile: der Pleven-Plan, der Gasperi-Plan, der Fouchet-Plan ... Mit der Europäischen Politischen Zusammenarbeit 1970 überlebte das Kind zumindest. Es wuchs. Aber es war eher kränklicher Natur. Nach zwanzig Jahren - 1989 - rühmte es sich, einen beeindruckenden Dschungel von Ausschüssen geschaffen zu haben; es gab wohlklingende Erklärungen ab (die in der Regel ein oder zwei Wochen zu spät kamen, um die Dinge noch beeinflußen zu können), aber - wie einige akademische Kommentatoren es jüngst beschrieben - "diese Struktur glich einem diplomatischen Spiel, das die Beamten beschäftigte, ohne daß die Parlamente oder die Presse eingebunden oder informiert wurden, von der Öffentlichkeit ganz zu schweigen. Somit gelang es nicht, eine nennenswerte Konvergenz der nationalen Haltungen zu fördern".

Seitdem hat die Europäische Union begonnen, die Dinge voranzutreiben. Mit dem Maastrichter Vertrag von 1992 wurde die Gemeinsame Sicherheits- und Außenpolitik ins Leben gerufen. Der Amsterdamer Vertrag schuf die Funktion des Hohen Vertreters, "Mr. GASP" genannt. Und auf der Tagung des Europäischen Rates in Helsinki im Dezember letzten Jahres wurden erste Schritte in Richtung einer Verteidigungspolitik getan. Woher kommt dieser neue Schwung ? Ich denke, hierfür gibt es insbesondere drei Gründe:

immer deutlicher, daß die Außenpolitik hinterherhinkte.

nicht erkennen läßt, daß es gewillt ist, sein Schicksal mehr in die eigene Hand zu nehmen.

So haben wir denn nun unsere neue GASP. Javier Solana leitet als Hoher Vertreter auch das Ratssekretariat. Als das für Außenbeziehungen zuständige Kommissionsmitglied habe ich gebündelte Verantwortlichkeiten, die bislang auf mehrere Kommissionsmitglieder verteilt waren. Ich möchte mich hier nicht weiter über institutionelle Regelungen auslassen, jedoch muß ich ganz kurz eine zentrale Frage ansprechen - nämlich die Rolle der Kommission in der entstehenden Struktur der GASP.

Unter den bedeutenden Fortschritten, die im letzten Jahrzehnt in der GASP erzielt wurden, haben die Mitgliedstaaten der Kommission nicht das alleinige Inititativrecht eingeräumt; sie haben sich nicht im allgemeinen auf Mehrheitsbeschlüsse geeinigt, und sie akzeptieren auch nicht, daß Europa "das Feld besetzt" und die nationale Handlungsfreiheit dadurch einschränkt. Es ist wichtig, dies zu verstehen, und besonders wichtig, daß die Europäische Kommission dies versteht. Die Außenpolitik bleibt primär Sache der demokratisch gewählten Regierungen der Mitgliedstaaten.

Genauso notwendig ist es, daß alle Mitgliedstaaten anerkennen, was alle, die die GASP-Arbeit tatsächlich machen, seit langem verstanden haben, nämlich daß ein vorwiegend intergouvernementaler Ansatz das beste Rezept für Schwäche und Mittelmaß ist, für eine europäische Außenpolitik auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner. Dies wird um so deutlicher werden, je mehr Mitglieder die Union aufnimmt. Die großen Mitgliedstaaten können die Mängel des intergouvernementalen Ansatzes abschwächen, indem sie eine herausragende Rolle spielen. Wie Präsident Chirac in seiner wichtigen Rede zur Außenpolitik am 30. Mai feststellte: "Einige Mitgliedstaaten können eine Rolle als Antriebskraft spielen...", um Europa eine kohärente Außenpolitik mit einem starken Profil zu geben.

Doch die Willenskraft und der Appell an gemeinsame Werte allein reichen nicht aus. Deshalb haben die Mitgliedstaaten in Maastricht und in Amsterdam beschlossen, die Gemeinschaftsmethode und den intergouvernementalen Ansatz miteinander zu verbinden. Nur so würden sie in der Lage sein, wenn schon nicht unisono, so doch zumindest mit größerer Harmonie im Chor zu singen.

Was dabei herauskam, ist längst nicht perfekt. Zum Glück arbeiten Javier Solana und ich äußerst gut zusammen - auch wenn uns die neuen institutionellen Mechanismen nicht gerade dabei behilflich sind. Die GASP befindet sich noch im Aufbau und wird in den kommenden Jahren rationeller gestaltet werden. Wichtig ist, daß die neuen Strukturen, Verfahren und Instrumente der GASP - so unvollkommen sie auch sein mögen - die Notwendigkeit anerkennen, die Stärken der Europäischen Gemeinschaft in den Dienst der Europäischen Außenpolitik zu stellen. Aus diesem Grund wird die Europäische Kommission nach dem Vertrag "in vollem Umfang an der GASP beteiligt". Wir nehmen in vollem Umfang am Entscheidungsprozeß im Rat teil, durch ein geteiltes Initativrecht, das wir auch ausüben werden. Unsere Rolle kann und sollte auch nicht darauf beschränkt werden, die weißen Flecken in einem Muster auszufüllen, das andere entworfen haben. Es wäre absurd, die Europäische Außenpolitik von den Institutionen zu trennen, denen die Verantwortlichkeit für die meisten zu ihrer Verwirklichung erforderlichen Instrumente übertragen wurde: Außenhandelspolitik einschließlich Sanktionen, europäische Auslandshilfe und die meisten externen Aspekte im Bereich Justiz und Inneres.

Was wir brauchen, ist eine vernünftige und sensible Partnerschaft zwischen den Organen der Union und den Mitgliedstaaten. Wir sollten uns nicht in Grabenkämpfen verstricken, sondern uns in einem gemeinsamen Unternehmen dafür einsetzen, daß der weltweit größte Handelsblock auch politische Präsenz zeigt.

Lassen sie mich nun vom institutionellen Hors d'oeuvre zum Hauptgericht übergehen. Was versuchen wir wirklich gemeinsam zu tun ? Was wollen die Mitgliedstaaten mit den neuen Strukturen tun ? Wie sollen wir unseren Erfolg messen ?

Die EU hat weitreichende Verantworung und Interessen und die GASP muss weltweit wirken. Aber innerhalb dessen bedarf es einer Konzentration unserer Anstrengungen. Ich schlage vor, daß sich die EU drei allgemeine Ziele setzt:

konfrontiert ist, technische Lösungen - wie die nationale Raketenabwehr - ins Auge fassen. Wie skeptisch oder enthusiastisch man einem solchen Ansatz auch gegenübersteht - ich für meinen Teil bin nicht ganz davon überzeugt -, so ist er doch symptomatisch für den Glauben, daß man sich die Probleme der Welt vom Leibe halten könne. Interessanterweise hat dies dazu geführt, daß die USA sich auf Instrumente (militärische Bedrohung und Aktion) verlassen, die in Europa Zuständigkeit der Mitgliedstaaten sind. In Europa dagegen kommt ein solcher Ansatz aufgrund der europäischen Geographie nicht in Betracht, selbst wenn wir ihn für richtig hielten. Wir können die Sicherheit nur dann gewährleisten, wenn wir mit unseren nächsten Nachbarn konstruktiv zusammenarbeiten.

Dies setzt die Anwendung von Instrumenten wie dem Handel, der Auslandshilfe, der Zusammenarbeit in Umweltfragen, in der Wettbewerbspolitik etc. voraus, bei denen es sich um Gemeinschaftszuständigkeiten handelt. Die Mitgliedstaaten können nicht jeder für sich eine wirklich wirksame Außenpolitik betreiben, und zwar nicht nur, weil sie zu klein sind, sondern weil diese Politik von Instrumenten abhängt, bei denen sie den weisen Entschluß gefaßt haben, ihre Ressourcen zusammenzulegen.

Stabilität und Wohlstand auf diesem Kontinent - und ein Anziehungspunkt für Länder, die die Diktatur gerade überwunden haben. In einem kürzlich erschienenen Beitrag in der Financial Times(2) schrieb Michael Prowse, daß Europa im kommenden Jahrhundert der Welt "insgesamt eine befriedigende Verbindung von individueller Freiheit, wirtschaftlichen Möglichkeiten und sozialer Eingliederung bieten wird. Es wird dem einzelnen mehr persönliche Freiheit zugestehen als das intolerante Asien. Der Wert dieser Freiheit wird durch das Gemeinschaftsgefühl und das Engagement für soziale Wohlfahrt noch vergrößert, welche man in der atomisierten amerikanischen Gesellschaft vermißt". Dies ist eine optimistische Vision. Ich hoffe, daß sie wahr werden wird. Sie bedeutet aber auch eine Herausforderung für die Außenbeziehungen der Europäischen Union. Denn die Fähigkeiten, die wir zur Verwaltung unserer eigenen Angelegenheiten entwickeln, sind auch von enormer Bedeutung für eine Welt, die noch um einen wirtschaftlichen, rechtlichen und politischen Rahmen kämpft, der die Machtgelüste der Staaten zügelt, der hilft, die Beziehungen zwischen den Staaten zu regeln und die Globalisierung in positive Bahnen zu lenken. Die EU trägt nicht nur zu den Bemühungen um eine effektivere Zusammenarbeit in multilateralen Rahmen (UNO, WTO etc.) bei, sondern ihr Modell der Integration inspiriert regionale Experimente von Asien bis Lateinamerika. Durch unser Eintreten für die Menschenrechte können wir die absurde Vorstellung von einem Spannungsverhältnis zwischen kommerziellen Interessen und einer aktiven Unterstützung der Freiheit beseitigen. Für mich ist seit langem klar, daß die freiesten Gesellschaften auch die besten Nachbarn sind und die besten Standorte für Investitionen und Geschäftstätigkeiten. Die EU sollte daher bestrebt sein, das Positive an unserem Modell im Ausland zu vermitteln: unseren Sinn für die Zivilgesellschaft, den angestrebten Ausgleich zwischen nationalen Freiheiten und gemeinsamen Disziplinen.

verbunden mit einer reflexartigen Feindseligkeit gegenüber jeder Art von auswärtiger Autorität über innere Angelegenheiten. Wir können aber mit unseren Argumenten nur dann Recht behalten, wenn wir selbst ernstgenommen werden. Dies ist zur Zeit in vielen Bereichen nicht der Fall. Und zu Recht. Einen Beitrag zu einem besseren globalen Gleichgewicht können wir nur leisten, indem wir wirksamer zusammenarbeiten und die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik so weiterentwickeln, daß wir dadurch unser gemeinsames Potential effektiver zur Geltung bringen können.

Nach diesen allgemeinen Ausführungen möchte ich mich jetzt einigen Einzelfragen zuwenden. Welche Ziele sollten im Rahmen der GASP in zentralen Politikbereichen verfolgt werden, und auf welche Weise sollte die Europäische Kommission dazu beitragen?

Unsere erste Aufgabe ist eher interner als externer Natur und besteht darin, zur Entwicklung einer dynamischen europäischen Wirtschaft beizutragen, die als treibende Kraft für eine ernstzunehmende Außenpolitik dienen kann. "Geben Sie mir die Kohle", sagte Ernie Bevin, der erste britische Außenminister nach dem ersten Weltkrieg, "und ich liefere Ihnen die Politik". Aber auch die externe Handelspolitik der Kommission ist ein wesentlicher Bestandteil der Europäischen Außenpolitik:

Damit bin ich schon bei der Auslandshilfe , einem Bereich, in dem das Potential und die Realität unserer Politik derzeit eklatant auseinanderklaffen. Die EU und ihre Mitgliedstaaten leisten 55% der weltweiten öffentlichen Entwicklungshilfe und rund 66% aller Hilfe in Form von Zuschüssen. Aber diese Mittel werden nicht effizient verwaltet. Damit will ich die vielen ausgezeichneten und engagierten Mitarbeiter nicht verunglimpfen, die ihr Bestes geben, um die Situation zu verbessern. Sie leiden aber unter miserablen Verwaltungsverfahren. Und ihre Zahl ist zu gering. Das Volumen der EG-Hilfe hat zwei bis drei Mal schneller zugenommen, als das für die Verwaltung dieser Mittel zur Verfügung stehende Personal. Uns sind sehr schwerfällige Verfahren von den Mitgliedstaaten aufgezwungen worden, die die Projekte bis ins kleinste Detail bestimmen und sich Aufträge sichern wollen. Dies hat dazu geführt, daß in den vergangenen 5 Jahren der durchschnittliche Rückstand bei der Auszahlung gebundener Mitteln von 3 auf 4,5 Jahre gestiegen ist. Bei manchen Programmen entspricht der Rückstand bei den noch nicht abgewickelten Mittelbindungen dem 8,5-fachen der jährlichen Zahlungen.

Wir haben im vergangenen Monat unsere Pläne zur Behebung dieser Mißstände vorgelegt. Darin schlagen wir der Haushaltsbehörde vor, daß bei jedem Hilfeprogramm ein Teil der Mittel für Managementzwecke gebunden wird. Mit diesen zusätzlichen Ressourcen können wir drei Ziele erreichen:

von Anfang bis Ende zuständig sein wird.

Für mich stellt das Erreichen dieser Ziele - in enger Zusammenarbeit mit Poul Nielson, der in erster Linie für die Entwicklungszusammenarbeit zuständig ist - vielleicht die vordringlichste Aufgabe meiner Amtszeit dar. Wenn wir unsere Mittel nicht effektiv verwalten können, sollten wir überhaupt keine Mittel verwalten. Bei effektiver Mittelverwaltung ist die Auslandshilfe doch ein Bereich, in dem durch ein gemeinsames Vorgehen auf EG-Ebene ein deutlicher Mehrwert erzielt werden kann.

Nirgendwo ist es wichtiger, daß wir unsere Hilfe schnell und effektiv leisten, als im westlichen Balkan . Für Europa und die GASP - und insbesondere für mich und Javier Solana - stellt diese Region eine große Herausforderung dar. Ich habe mich sehr gefreut, als der französische Präsident Jacques Chirac in seiner Rede am 30. Mai ankündigte, die französische Präsidentschaft werde den Balkan ganz oben auf die Tagesordnung der GASP setzen. Ich begrüße sowohl die Aussicht auf ein weiteres Gipfeltreffen als auch seine Forderung nach einer Strategie, die sich durch größere Kohärenz, Konsequenz und Entschlossenheit auszeichnet. Die Kommission hat die Auswirkungen einer solchen Strategie auf die Ausgaben der EU detailliert dargelegt. Der allgemeine Ansatz der EU ist klar. Unser Ziel ist:

Bei all unseren Bemühungen arbeiten wir mit den Vereinten Nationen sowie mit dem EU-Sonderbeauftragten für den Stabilitätspakt, Bodo Hombach, eng zusammen. Die Aufgabe, vor der wir stehen, ist gewaltig.

Die Gesellschaften, um die es hierbei geht, sind nicht von Natur aus bösartig oder gewalttätig. Es handelt sich vielmehr um Völker, die mit den Folgen einer verfehlten regionalen Ordnung leben müssen, die im Anschluß an den Berliner Kongreß vor mehr als hundert Jahren geschaffen wurde. Und in Serbien leiden die Menschen noch dazu unter einer furchtbaren politischen Führung. Trotz einiger ermutigender Entwicklungen, wie z.B. den jüngsten Veränderungen in Kroatien, ist die
Wirklichkeit von heute düster. Daher müssen wir ihnen den Weg nach Europa zeigen.

Auch die Entwicklungen im Mittelmeerraum kann die EU entscheidend beeinflussen. Vor nicht allzu langer Zeit betrachtete die EU ihre Mittelmeerpolitik vor allem als Teil der Entwicklungszusammenarbeit. Dies gehört inzwischen der Vergangenheit an. Wir haben natürlich ein gewaltiges Entwicklungsprogramm für diese Region aufgelegt, das in den letzen Jahren rasant gewachsen ist und inzwischen ein Viertel der gesamten Auslandshilfe der EU ausmacht. Aber die Entwicklungshilfe ist heute nur Teil einer viel umfassenderen Politik. Vor fünf Jahren riefen wir die Partnerschaft Euro-mediterrane - den sogenannten Barcelona-Prozeß - ins Leben. Unser Ziel dabei ist es, einen gemeinsamen Raum des Friedens, des Wohlstands und der Sicherheit in der Region südlich der EU zu schaffen, auf der Grundlage des freien Handels und dem Modell NAFTA. Wir wollen die Menschenrechte, die Demokratie und die Prinzipien des Rechtsstaats in der ganzen Region fördern. Und wir streben dabei eine kooperative Partnerschaft an, die zur Festigung eines künftigen Friedens im Nahen Osten beitragen kann.

Es besteht die Gefahr, daß Begriffe wie Partnerschaft zu diplomatischen Floskeln verkommen, wenn sie sich nicht auf feste Ziele und Zeitpläne stützen können. Ich bin aus diesem Grund entschlossen, dem Barcelona-Prozeß neue Impulse zu geben. Die Kommission ist von den Ministern aufgefordert worden, noch vor der Sommerpause entsprechende Vorschläge auszuarbeiten.

Ich könnte diese Tour der Weltpolitik beliebig fortsetzen - ich habe tatsächlich manchmal den Eindruck, als würde ich mein Leben zur Zeit nur noch in Flugzeugen verbringen. Ich kann Sie aber beruhigen - ich habe nicht vor, in dieser Rede auf den Soll- und Ist-Zustand der Politik der EU gegenüber Lateinamerika, Afrika, Asien oder dem Nahen Osten näher einzugehen. Zum Schluß möchte ich dennoch einige Themen kurz aufgreifen, die für die Zukunft Europas insgesamt von zentraler Bedeutung sind: Rußland, die bevorstehende Erweiterung der EU und die ersten Schritte zum Aufbau einer eigenständigen europäischen militärischen Kapazität.

Zunächst zu Rußland , dessen Wandel eine der hervorstechendsten Entwicklungen der vergangenen 50 Jahre war. Die künftigen Beziehungen zwischen Rußland und der EU sind von großer Bedeutung für unseren Kontinent - und bleiben unklar. Denn Rußland ist zweifellos europäisch, aber es ist nicht westlich. Rußland ist eine Großmacht, doch das Volumen seiner geschwächten Wirtschaft beträgt nur 8% der Wirtschaft der EU, und sein Außenhandel hängt zu 40% von ihr ab. Was bedeutet dies für unsere langfristigen Beziehungen? Was bedeutet dies für Länder von Zentralasien über den Kaukasus bis zur Ukraine, die zwischen den großen kontinentalen Polen liegen? Diese Frage mag zu leidenschaftlichen theoretischen Debatten über die geographischen Grenzen der Union und über religiöse und kulturelle Unterschiede führen. Mein Ansatz ist pragmatisch. Es liegt ebenso in unserem Interesse, wie es unsere Pflicht ist, all diesen Ländern und vor allem Rußland Hilfe beim Aufbau der Strukturen zuzusichern, die sie für eine gesunde wirtschaftliche und politische Entwicklung benötigen. Auf diese Priorität sollten wir uns erst einmal konzentrieren.

Die Russen haben von jeher mehr Vertrauen in starke Führer als in starke Institutionen gesetzt. Doch wenn sie nun Investitionen auf sich lenken wollen, wenn sie ihre enormen Schwierigkeiten hinsichtlich der nuklearen Sicherheit überwinden wollen, wenn sie die Unterhöhlung durch Korruption und Betrug bekämpfen wollen, kurz, wenn sie langfristig wieder die Großmacht werden wollen, die sie sein sollten, dann brauchen sie solide und effiziente Institutionen, die den Rechtsstaat untermauern. Auch die besten Gesetze werden keine Veränderung bewirken, wenn sie in der Praxis nicht angewandt werden können und wenn die Gerichte zu schwach sind, sie durchzusetzen.

Die EU ist sehr an einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit mit Rußland interessiert. Auf dem Gipfel EU-Rußland in Moskau Ende letzten Monats konnte ich die Hoffnung auf einen Neubeginn unter Präsident Putin spüren. Doch wir können nur helfen, wenn Rußland sich selbst dem Schutz der individuellen Rechte und dem Rechtsstaat verpflichtet. Die Ereignisse in Tschetschenien werfen weiterhin einen langen Schatten.

Wie ich bereits erwähnte, hat Rußland einen großen Einfluß auf unsere Erweiterung , die die Union in den kommenden Jahren verändern wird. Es ist unmöglich, mit Genauigkeit vorherzusagen, wie sich die Aufnahme so vieler neuer Mitgliedstaaten auswirken wird. Sie wird radikale Veränderungen in unseren derzeitigen Institutionen erfordern, was bereits zu der spannenden Debatte geführt hat, die im letzten Monat von Joschka Fischer eingeleitet wurde. Ich möchte mich hier dieser Debatte nicht anschließen, sondern lediglich anmerken, daß ich Herrn Fischers Konzept - nämlich Nationalstaaten mit einer Souveränitätsteilung im Rahmen eines Verfassungsvertrags, verbunden mit einer größeren demokratischen Kontrolle und Rechenschaftspflicht - zwar nachvollziehen kann, es jedoch für wichtig halte, daß die Befugnisse von unten nach oben übertragen werden, d.h. von den einzelnen Staaten auf die geschaffene Zentralstruktur und nicht umgekehrt. Die Nationalstaaten bilden die grundlegende politische Einheit und damit den wichtigsten Bezugspunkt für die Loyalität der Öffentlichkeit. Davon abgesehen wird die Erweiterung der EU radikale Veränderungen in ihrer Politik , einschließlich der Agrarpolitik, erfordern. Gehen wir hier sensibel vor, könnte sich dies als hilfreiches Stimulans statt als Nachteil der Erweiterung erweisen.

Unabhängig von den strukturellen und politischen Auswirkungen stellt die Erweiterung den größten Einzelbeitrag dar, den die EU zur europäischen - ja sogar zur globalen - Stabilität leisten kann. Ich betrachte die Projizierung von Stabilität als wichtigste Aufgabe der EU und als zentrales Ziel der GASP. Die Erweiterung der EU ist selbst das beste Beispiel für diese Politik. Wir haben bereits in Griechenland, Spanien und Portugal gesehen, wie die EU-Mitgliedschaft die Stabilisierung von Ländern unterstützt hat, die eine Diktatur erlebt hatten.

Schließlich möchte ich, wie versprochen, einige Worte zur Sicherheit und zur Rolle der Kommission innerhalb der entstehenden Strukturen sagen. Die Staats- und Regierungschefs haben ihr unmittelbares Ziel ohne Umschweife genannt. Sie wollen bis zum Jahr 2003 in der Lage sein, eine Truppenstärke von 50-60 000 einzusetzen, die die gesamte Spannbreite der sogenannten Petersberg-Aufgaben ausüben können: humanitäre und Rettungsmaßnahmen, Friedenserhaltung und sogar Friedensschaffung . Die Franzosen haben ihre Entschlossenheit zum Ausdruck gebracht, dieses Ziel während ihres Vorsitzes mit aller Kraft voranzutreiben. Generalsekretär Solana befaßt sich eingehend sowohl mit den operationellen Aspekten, d.h. dem Aufbau von Kommando- und Kontrollstrukturen für europäische Maßnahmen, als auch mit den institutionellen Aspekten, einschließlich der Einbeziehung von Nicht-Nato-Mitgliedern der EU und Nicht-EU-Mitgliedern der Nato. All diese Arbeiten werden von mir unterstützt. Allerdings tue ich dies in vielfacher Hinsicht mehr als interessierter Beobachter, denn als aktiv Mitwirkender.

Bedeutet dies, daß sich die Kommission von dem gesamten Bereich fernhalten sollte? Einige - vielleicht auch in diesem Saal - würden dies bejahen: Militärische Fragen sind Sache der Mitgliedstaaten, und die Gemeinschaftsinstitutionen sollten sich um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern. Dies ist aus mindestens zwei Gründen falsch:

Beitrag zu leisten haben. Militärische und nichtmilitärische Aktionen können nicht fein säuberlich in getrennte Schubladen gepackt werden und sollten es auch nicht, da sie im Interesse einer einheitlichen Strategie eng miteinander koordiniert werden müssen. Die Kommission kann beispielsweise eine politische Unterstützung bei der Abwendung eines Konflikts finanzieren, wir können die Schulung von Grenzbeamten organisieren, wenn eine unkontrollierte Masseneinwanderung Konflikte
verursacht, oder wir können den Wiederaufbau von Verwaltungsstrukturen in Ländern unterstützen, die eine Krise hinter sich haben, wie es derzeit auf dem Balkan der Fall ist. Die Kommission verfügt über eine eindrucksvolle Spanne an Instrumenten und Sachkenntnissen, die in das Gesamtkonzept der EU für Krisensituationen integriert werden müssen - von Minenräumungsprojekten über Streitschlichtung bis zur Unterstützung der unabhängigen Medien. All dies bedeutet, daß wir in die tägliche Arbeit der entstehenden Sicherheitsstrukturen der EU einbezogen werden müssen. Die Kommission arbeitet derzeit mit den Mitgliedstaaten an der Festlegung nichtmilitärischer Zielvorgaben, die die militärischen Ziele ergänzen werden.

Dual-use-Güter, die sowohl zivilen als auch militärischen Verwendungszwecken dienen - all dies sind Bereiche, in denen der europäischen Industrie die Vorteile des Binnenmarkts nicht vorenthalten werden sollten.

In diesen Bereichen muß die Kommission mit großer Sensibilität vorgehen. Wie ich bereits ausgeführt habe, streben wir keine Rolle in Verteidigungsfragen oder in der militärischen Entscheidungsfindung an. Ich möchte jedoch für die Unteilbarkeit der europäischen Außenpolitik plädieren, die nicht auf einen Pfeiler des Vertrags begrenzt sein darf. Die Kommission muß uneingeschränkt in die gesamte GASP einbezogen werden.

Abschließend möchte ich noch folgendes hinzufügen:

Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik hat sich in der Europäischen Union nur langsam entwickelt und steht immer noch auf tönernen Füßen, da es sich um einen Bereich handelt, in dem die Mitgliedstaaten zu Recht auf ihre nationalen Privilegien pochen. Sie sind nur inner