Chris Patten
Mitglied der Europäischen Kommission zuständig für Außenbeziehungen
Eine europäische Außenpolitik : Anspruch und Wirklichkeit
Institut Français des Relations Internationales (IFRI)
Paris, den 16. Juni 2000
Vor mehr als 40 Jahren wollte der erste Präsident der Europäischen Kommission, Walter
Hallstein, den Beziehungen der Kommission zu den Vertretern der Drittländer in Brüssel
einen formellen Rahmen geben. Präsident de Gaulle wies ihn scharf zurecht und spottete über dieses "künstliche Land, das dem Kopf eines Technokraten entsprungen war".
Ich nehme an, daß einige - nicht zuletzt in dem Land, das wir in der Kommission gemeinhin
"als das Land, das ich am besten kenne" bezeichnen, diese Rede gleichfalls als einen unerlaubten Ausflug in dieses künstliche Land ansehen werden. All dies ist nicht
verwunderlich. Denn die Außenpolitik berührt den Kern einer Nation. Und die Rolle
der Kommission ist nach wie vor umstritten. Sofern es um Handelspolitik oder Landwirtschaft geht, wissen wir, wo wir stehen. Hier handelt die Kommission mehr oder weniger nach
der brillanten Vision von Jean Monnet. Aber was genau ist
die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik ? Sollten die Mitgliedstaaten ihretwegen
bereit sein, ihre nationalen Instinkte aufzugeben ?
Diese Fragen erhielten nie eine befriedigende Antwort. Die Geschichte ist voller fehlgeschlagener
Versuche, eine Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik zu schaffen, die mehr ist
als die Summe ihrer Bestandteile: der Pleven-Plan, der Gasperi-Plan, der Fouchet-Plan ... Mit der Europäischen
Politischen Zusammenarbeit 1970 überlebte das Kind zumindest. Es wuchs. Aber es war
eher kränklicher Natur. Nach zwanzig Jahren - 1989 - rühmte es sich, einen beeindruckenden
Dschungel von Ausschüssen geschaffen zu haben; es gab wohlklingende Erklärungen ab (die in der Regel ein oder zwei Wochen zu spät kamen, um die Dinge noch beeinflußen
zu können), aber - wie einige akademische Kommentatoren es jüngst beschrieben - "diese
Struktur glich einem diplomatischen Spiel, das die Beamten beschäftigte, ohne daß
die Parlamente oder die Presse eingebunden oder
informiert wurden, von der Öffentlichkeit ganz zu schweigen. Somit gelang es nicht,
eine nennenswerte Konvergenz der nationalen Haltungen zu fördern".
Seitdem hat die Europäische Union begonnen, die Dinge voranzutreiben. Mit dem Maastrichter
Vertrag von 1992 wurde die Gemeinsame Sicherheits- und Außenpolitik ins Leben gerufen.
Der
Amsterdamer Vertrag schuf die Funktion des Hohen Vertreters, "Mr. GASP" genannt. Und
auf der Tagung des Europäischen Rates in Helsinki im Dezember letzten Jahres wurden
erste Schritte in Richtung einer Verteidigungspolitik getan. Woher kommt dieser neue
Schwung ? Ich denke, hierfür gibt es insbesondere drei Gründe:
- Erstens war das Mißverhältnis zwischen der Zeit und den Anstrengungen, die in die
Politische Zusammenarbeit gesteckt wurden, und den geringen Resultaten allzu offensichtlich
geworden. Während die Europäische Union mit der Erweiterung, der Vollendung des Binnenmarkts und dem Ziel einer gemeinsamen Währung in anderen Bereichen zur Reife
gelangte, wurde es
immer deutlicher, daß die Außenpolitik hinterherhinkte.
- Zweitens veränderte der Fall der Berliner Mauer die gesamte europäische Landschaft.
Wir hatten immer gewußt, wogegen wir waren. Jetzt mußten wir uns darüber klar werden,
wofür wir standen. Und wir mußten in der Lage sein, etwas gegen die Instabilität
an unseren Grenzen zu tun. Die Schwäche Europas wurde offenkundig, insbesondere in der
demütigenden Erfahrung in Bosnien, wo "die Stunde Europas schlug" und wir weder in
der Lage waren, die Kämpfe zu beenden, noch ernstzunehmende Verhandlungen durchzusetzen, bis sich die Amerikaner entschlossen einzugreifen. Die Tatsache, daß Europa danach
im Kosovo-Konflikt auf die militärische Kapazität der USA angewiesen war, erzeugte
eine ähnliche Dynamik. Die Mitgliedstaaten erkannten, daß sie eine echte Gemeinsame
Außen- und Sicherheitspolitik brauchten, um dieser Situation entgegenzutreten.
- Drittens hat sich die Beziehung zu den USA vielleicht verändert. Das amerikanische
Engagement in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg war in fast jeder Hinsicht ein Segen.
Und dennoch hat Amerika uns gespalten. Einige Europäer - dies ist aus meiner Sicht
ganz verrückt - haben ihre Hingabe an die europäische Sache an ihrem Antiamerikanismus
gemessen. Andere schreckten vor einer starken europäischen Außen- und vor allem Verteidigungspolitik
zurück aus Furcht, die lebenswichtige transatlantische Verbindung abreißen zu lassen. Beide hatten Unrecht. Die Gefahr ist nicht ein Isolationismus der
USA, sondern ihr Unilateralismus - zuweilen gepaart mit einem Desinteresse für das,
was in der Welt vorgeht. Europa wird diese Tendenz noch verstärken, wenn es
nicht erkennen läßt, daß es gewillt ist, sein Schicksal mehr in die eigene Hand zu
nehmen.
So haben wir denn nun unsere neue GASP. Javier Solana leitet als Hoher Vertreter auch
das Ratssekretariat. Als das für Außenbeziehungen zuständige Kommissionsmitglied
habe ich gebündelte
Verantwortlichkeiten, die bislang auf mehrere Kommissionsmitglieder verteilt waren.
Ich möchte mich hier nicht weiter über institutionelle Regelungen auslassen, jedoch
muß ich ganz kurz eine zentrale Frage ansprechen - nämlich die Rolle der Kommission in der entstehenden
Struktur der GASP.
Unter den bedeutenden Fortschritten, die im letzten Jahrzehnt in der GASP erzielt
wurden, haben die Mitgliedstaaten der Kommission nicht das alleinige Inititativrecht
eingeräumt; sie haben sich nicht im allgemeinen auf Mehrheitsbeschlüsse geeinigt,
und sie akzeptieren auch nicht, daß Europa "das Feld besetzt" und die nationale Handlungsfreiheit
dadurch einschränkt. Es ist wichtig, dies zu verstehen, und besonders wichtig, daß
die Europäische Kommission dies versteht. Die Außenpolitik bleibt primär Sache der demokratisch gewählten Regierungen der Mitgliedstaaten.
Genauso notwendig ist es, daß alle Mitgliedstaaten anerkennen, was alle, die die GASP-Arbeit
tatsächlich machen, seit langem verstanden haben, nämlich daß ein vorwiegend intergouvernementaler
Ansatz das beste Rezept für Schwäche und Mittelmaß ist, für eine europäische Außenpolitik
auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner. Dies wird um so deutlicher werden, je mehr
Mitglieder die Union aufnimmt. Die großen Mitgliedstaaten können die Mängel des intergouvernementalen
Ansatzes abschwächen, indem sie eine herausragende Rolle spielen. Wie Präsident Chirac
in seiner wichtigen Rede zur Außenpolitik am 30. Mai feststellte: "Einige Mitgliedstaaten können eine Rolle als Antriebskraft spielen...", um Europa
eine kohärente Außenpolitik mit einem starken Profil zu geben.
Doch die Willenskraft und der Appell an gemeinsame Werte allein reichen nicht aus.
Deshalb haben die Mitgliedstaaten in Maastricht und in Amsterdam beschlossen, die
Gemeinschaftsmethode und den intergouvernementalen Ansatz miteinander zu verbinden.
Nur so würden sie in der Lage sein, wenn schon nicht unisono, so doch zumindest mit größerer
Harmonie im Chor zu singen.
Was dabei herauskam, ist längst nicht perfekt. Zum Glück arbeiten Javier Solana und
ich äußerst gut zusammen - auch wenn uns die neuen institutionellen Mechanismen nicht
gerade dabei behilflich sind. Die GASP befindet sich noch im Aufbau und wird in den
kommenden Jahren rationeller gestaltet werden. Wichtig ist, daß die neuen Strukturen,
Verfahren und Instrumente der GASP - so unvollkommen sie auch sein mögen - die Notwendigkeit
anerkennen, die Stärken der Europäischen
Gemeinschaft in den Dienst der Europäischen Außenpolitik zu stellen. Aus diesem Grund
wird die Europäische Kommission nach dem Vertrag "in vollem Umfang an der GASP beteiligt".
Wir nehmen in vollem Umfang am Entscheidungsprozeß im Rat teil, durch ein geteiltes Initativrecht, das
wir auch ausüben werden. Unsere Rolle kann und sollte auch nicht darauf beschränkt
werden, die weißen Flecken in einem Muster auszufüllen, das andere entworfen haben.
Es wäre absurd, die Europäische Außenpolitik von den Institutionen zu trennen, denen
die Verantwortlichkeit für die
meisten zu ihrer Verwirklichung erforderlichen Instrumente übertragen wurde: Außenhandelspolitik
einschließlich Sanktionen, europäische Auslandshilfe und die meisten externen Aspekte
im Bereich Justiz und Inneres.
Was wir brauchen, ist eine vernünftige und sensible Partnerschaft zwischen den Organen
der Union und den Mitgliedstaaten. Wir sollten uns nicht in Grabenkämpfen verstricken,
sondern uns in einem
gemeinsamen Unternehmen dafür einsetzen, daß der weltweit größte Handelsblock auch
politische Präsenz zeigt.
Lassen sie mich nun vom institutionellen Hors d'oeuvre zum Hauptgericht übergehen.
Was versuchen wir wirklich gemeinsam zu tun
? Was wollen
die Mitgliedstaaten mit den neuen Strukturen tun ? Wie sollen wir unseren Erfolg
messen ?
Die EU hat weitreichende Verantworung und Interessen und die GASP muss weltweit wirken.
Aber innerhalb dessen bedarf es einer Konzentration unserer Anstrengungen. Ich schlage
vor, daß sich die EU drei allgemeine Ziele setzt:
- Als erstes
müssen wir unsere Beziehungen zu unseren nächsten Nachbarn effektiver gestalten.
Aufgrund ihres grenzenlosen Vertrauens in die Technik, ihrer Vorrangstellung als
Weltmacht und ihrer geographischen Lage kann die USA für die Bedrohungen, mit denen
sie
konfrontiert ist, technische Lösungen - wie die nationale Raketenabwehr - ins Auge
fassen. Wie skeptisch oder enthusiastisch man einem solchen Ansatz auch gegenübersteht
- ich für meinen Teil bin nicht ganz davon überzeugt -, so ist er doch symptomatisch
für den Glauben, daß man sich die Probleme der Welt vom Leibe halten könne. Interessanterweise
hat dies dazu geführt, daß die USA sich auf Instrumente (militärische Bedrohung und
Aktion) verlassen, die in Europa Zuständigkeit der
Mitgliedstaaten sind. In Europa dagegen kommt ein solcher Ansatz aufgrund der europäischen
Geographie nicht in Betracht, selbst wenn wir ihn für richtig hielten. Wir können
die Sicherheit nur dann gewährleisten, wenn wir mit unseren nächsten Nachbarn konstruktiv zusammenarbeiten.
Dies setzt die Anwendung von Instrumenten wie dem Handel, der Auslandshilfe, der Zusammenarbeit
in Umweltfragen, in der Wettbewerbspolitik etc. voraus, bei denen es sich um
Gemeinschaftszuständigkeiten handelt. Die Mitgliedstaaten können nicht jeder für sich
eine wirklich wirksame Außenpolitik betreiben, und zwar nicht nur, weil sie zu klein
sind, sondern weil diese Politik von Instrumenten abhängt, bei denen sie den weisen
Entschluß gefaßt haben, ihre Ressourcen zusammenzulegen.
- Ein zweites
Ziel, das wir uns selbst setzen sollten, bestünde darin, unsere Erfahrungen mit der
multilateralen Zusammenarbeit auf breiterer Ebene anzuwenden. Die EU ist ein einzigartiges
und einzigartig erfolgreiches Experiment im Bereich der regionalen Integration. Sie sucht zu bewahren, was ihre Mitglieder an besten Eigenschaften aufweisen: ihre
eigenen Kulturen, Sprachen, Traditionen und historischen Identitäten und gleichzeitig
das, was am schlechtesten war, zu überwinden: Nationalismus, Fremdenhaß, wechselseitig
destruktive Handels- und Währungspolitiken und (letztlich) ihre Neigung, gegeneinander
Krieg zu führen. Auf diesem Weg gab es zwar zahlreiche Hindernisse und Rückschläge.
Nach meinem Dafürhalten war die EU zu interventionistisch. Ich hege Sympathie für
die Forderung, daß wir der Subsidiarität mehr Begeisterung entgegenbringen sollten. Die
EU ist manchmal verschwenderisch und ineffizient, zum Teil auch deswegen, weil uns
die Mitgliedstaaten nicht die erforderlichen Ressourcen gegeben haben, die wir brauchen, um unsere Angelegenheiten besser zu verwalten. Die EU wird nicht geliebt. Dennoch
ist sie treibende Kraft für
Stabilität und Wohlstand auf diesem Kontinent - und ein Anziehungspunkt für Länder,
die die Diktatur gerade überwunden haben. In einem kürzlich erschienenen Beitrag
in der Financial Times(2) schrieb Michael Prowse, daß Europa im kommenden Jahrhundert der Welt "insgesamt eine
befriedigende Verbindung von individueller Freiheit, wirtschaftlichen Möglichkeiten
und sozialer Eingliederung bieten wird. Es wird dem einzelnen mehr persönliche Freiheit zugestehen als das intolerante Asien. Der Wert dieser Freiheit wird durch das Gemeinschaftsgefühl
und das Engagement für soziale Wohlfahrt noch vergrößert, welche man in der atomisierten
amerikanischen Gesellschaft vermißt". Dies ist eine optimistische Vision. Ich hoffe, daß sie wahr werden wird. Sie bedeutet aber auch eine Herausforderung
für die Außenbeziehungen der Europäischen Union. Denn die Fähigkeiten, die wir zur
Verwaltung unserer eigenen Angelegenheiten entwickeln, sind auch von enormer Bedeutung für eine Welt, die noch um einen wirtschaftlichen, rechtlichen und politischen Rahmen
kämpft, der die Machtgelüste der Staaten zügelt, der hilft, die Beziehungen zwischen
den Staaten zu regeln und die Globalisierung in positive Bahnen zu lenken. Die EU
trägt nicht nur zu den Bemühungen um eine effektivere Zusammenarbeit in multilateralen
Rahmen (UNO, WTO etc.) bei, sondern ihr Modell der Integration inspiriert regionale
Experimente von Asien bis Lateinamerika. Durch unser Eintreten für die Menschenrechte
können wir die absurde Vorstellung von einem
Spannungsverhältnis zwischen kommerziellen Interessen und einer aktiven Unterstützung
der Freiheit beseitigen. Für mich ist seit langem klar, daß die freiesten Gesellschaften
auch die besten Nachbarn sind und die besten Standorte für Investitionen und Geschäftstätigkeiten. Die EU sollte daher bestrebt sein, das Positive an unserem Modell
im Ausland zu vermitteln: unseren Sinn für die Zivilgesellschaft, den angestrebten
Ausgleich zwischen nationalen Freiheiten und gemeinsamen Disziplinen.
- Das dritte
allgemeine Ziel der Europäischen Union sollte es sein, sich zu einem ernstzunehmenden
Partner der Vereinigten Staaten zu entwickeln. Wie ich bereits ausgeführt habe, ist
die Vorstellung, man müsse zwischen einer Vertiefung der europäischen Integration
und einer Stärkung der transatlantischen Beziehungen wählen, völlig falsch. Es ist vielmehr
so, daß sich die beiden Prozesse gegenseitig verstärken. Wir müssen mit den Vereinigten
Staaten, die stets ein verläßlicher Freund Europas waren und dies auch bleiben, enger zusammenarbeiten. Es gibt vieles - sehr vieles - in den USA, was wir bewundern
können. Es gibt aber auch eine Vielzahl von Bereichen, in denen die USA meiner Ansicht
nach eine falsche Politik verfolgen. Als Beispiele nenne ich die Vereinten Nationen, die Umweltpolitik und das Streben nach extraterritorialer Machtausübung
verbunden mit einer reflexartigen Feindseligkeit gegenüber jeder Art von auswärtiger
Autorität über innere Angelegenheiten. Wir können aber mit unseren Argumenten nur
dann Recht behalten, wenn wir selbst ernstgenommen werden. Dies ist zur Zeit in vielen
Bereichen nicht der Fall. Und zu Recht. Einen Beitrag zu einem besseren globalen Gleichgewicht
können wir nur leisten, indem wir wirksamer zusammenarbeiten und die gemeinsame Außen-
und Sicherheitspolitik so weiterentwickeln, daß wir dadurch unser gemeinsames Potential effektiver zur Geltung bringen können.
Nach diesen allgemeinen Ausführungen möchte ich mich jetzt einigen Einzelfragen zuwenden.
Welche Ziele sollten im Rahmen der GASP in zentralen Politikbereichen verfolgt werden,
und auf welche Weise sollte die Europäische Kommission dazu beitragen?
Unsere erste Aufgabe ist eher interner
als externer Natur und besteht darin, zur Entwicklung einer dynamischen europäischen Wirtschaft
beizutragen, die als treibende Kraft für eine ernstzunehmende Außenpolitik dienen
kann. "Geben Sie mir die Kohle", sagte Ernie Bevin, der erste britische Außenminister
nach dem ersten Weltkrieg, "und ich liefere Ihnen die Politik". Aber auch die externe
Handelspolitik der Kommission ist ein wesentlicher Bestandteil der Europäischen Außenpolitik:
- Die EU muß zur Förderung eines offenen, auf Regeln beruhenden Welthandels
beitragen und zu einem Verfechter der Globalisierung werden. Die Globalisierung ist
eine gute Sache, weil sie nicht nur den ärmsten Länder durch den Handel wirtschaftliche
Vorteile bringt, sondern auch zur Förderung offener Gesellschaften und zur Verbreitung liberalen Gedankenguts beiträgt. Ich begrüße das WTO-Abkommen mit China, das Pascal
Lamy vor kurzem aushandelte;
- Die Globalisierung ist aber keine Naturgewalt, der wir machtlos gegenüberstehen.
Wir müssen z.B. der Gefahr einer Polarisierung zwischen den Gewinnern und Verlierern
der Globalisierung vorbeugen. Der freie Handel und die modernen Technologien bringen
den Menschen mehr Wohlstand, aber nicht überall und nicht in jedem Land. Jedes Jahr
werden in Europa um die 11 Milliarden Euro für Eis ausgegeben. In Afrika dagegen
sterben von 1000 Kindern 174 in den ersten fünf Jahren.
Damit bin ich schon bei der Auslandshilfe
, einem Bereich, in dem das Potential und die Realität unserer Politik derzeit eklatant
auseinanderklaffen. Die EU und ihre Mitgliedstaaten leisten 55% der weltweiten öffentlichen
Entwicklungshilfe und rund 66% aller Hilfe in Form von Zuschüssen. Aber
diese Mittel werden nicht effizient verwaltet. Damit will ich die vielen ausgezeichneten
und engagierten Mitarbeiter nicht verunglimpfen, die ihr Bestes geben, um die Situation
zu verbessern. Sie leiden aber unter miserablen Verwaltungsverfahren. Und ihre Zahl ist zu gering. Das Volumen der EG-Hilfe hat zwei bis drei Mal schneller zugenommen,
als das für die Verwaltung dieser Mittel zur Verfügung stehende Personal. Uns sind
sehr schwerfällige Verfahren von den Mitgliedstaaten aufgezwungen worden, die die
Projekte bis ins kleinste Detail bestimmen und sich Aufträge sichern wollen. Dies hat
dazu geführt, daß in den vergangenen 5 Jahren der durchschnittliche Rückstand bei
der Auszahlung gebundener Mitteln von 3 auf 4,5 Jahre gestiegen ist. Bei manchen
Programmen entspricht der Rückstand bei den noch nicht abgewickelten Mittelbindungen dem 8,5-fachen
der jährlichen Zahlungen.
Wir haben im vergangenen Monat unsere Pläne zur Behebung dieser Mißstände vorgelegt.
Darin schlagen wir der Haushaltsbehörde vor, daß bei jedem Hilfeprogramm ein Teil
der Mittel für Managementzwecke gebunden wird. Mit diesen zusätzlichen Ressourcen
können wir drei Ziele erreichen:
- Eine Verbesserung der Mehrjahresprogrammierung und die Beteiligung der Mitgliedstaaten
bereits in dieser Phase, damit sie nicht durch schwerfällige Überwachungsverfahren
die Durchführung der Projekte verzögern.
- Die Einrichtung eines einheitlichen Dienstes mit der Bezeichnung "EuropeAid" innerhalb
der Kommission, der für die Projektermittlung und die Überwachung der gesamten Projektdurchführung
von Anfang bis Ende zuständig sein wird.
- Eine stärkere Übertragung von Aufgaben auf unsere Außenvertretungen, um ein projektnahes
Management zu gewährleisten und die Empfängerländer stärker am Entscheidungsprozeß
zu beteiligen.
Für mich stellt das Erreichen dieser Ziele - in enger Zusammenarbeit mit Poul Nielson,
der in erster Linie für die Entwicklungszusammenarbeit zuständig ist - vielleicht
die vordringlichste Aufgabe meiner Amtszeit dar. Wenn wir unsere Mittel nicht effektiv
verwalten können, sollten wir überhaupt keine Mittel verwalten. Bei effektiver Mittelverwaltung
ist die Auslandshilfe doch ein Bereich, in dem durch ein gemeinsames Vorgehen auf
EG-Ebene ein deutlicher Mehrwert erzielt werden kann.
Nirgendwo ist es wichtiger, daß wir unsere Hilfe schnell und effektiv leisten, als
im westlichen Balkan
. Für Europa und die GASP - und insbesondere für mich und Javier Solana - stellt diese
Region eine große Herausforderung dar. Ich habe mich sehr gefreut, als der französische
Präsident Jacques Chirac in seiner Rede am 30. Mai ankündigte, die französische Präsidentschaft werde den Balkan ganz oben auf die Tagesordnung der GASP setzen. Ich
begrüße sowohl die Aussicht auf ein weiteres Gipfeltreffen als auch seine Forderung
nach einer Strategie, die sich durch größere Kohärenz, Konsequenz und Entschlossenheit
auszeichnet. Die Kommission hat die Auswirkungen einer solchen Strategie auf die Ausgaben
der EU detailliert dargelegt. Der allgemeine Ansatz der EU ist klar. Unser Ziel ist:
- die schrittweise Integration dieser Länder in die EU mit Hilfe von Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen
;
- dazu müssen ihre Volkswirtschaften durch interregionalen Handel sowie durch asymmetrische Handelszugeständnisse
, seitens der EU, die den Übergang zu freiem Handel fördern, neu belebt werden;
- zunächst aber müssen wir dafür sorgen, daß die Menschen ihr zerstörtes Leben und
die Länder die verwüstete Infrastruktur und ihre zerrütteten Gesellschaften so rasch
wie möglich wieder aufbauen können. Dazu haben wir eine Wiederaufbau-Agentur
geschaffen, die die entsprechenden Maßnahmen im Kosovo überwachen wird, sowie eine
neue Verordnung
vorgeschlagen, mit der diese Maßnahmen auf eine einheitliche Rechtsgrundlage gestellt
werden sollen.
Bei all unseren Bemühungen arbeiten wir mit den Vereinten Nationen sowie mit dem EU-Sonderbeauftragten
für den Stabilitätspakt, Bodo Hombach, eng zusammen. Die Aufgabe, vor der wir stehen,
ist gewaltig.
Die Gesellschaften, um die es hierbei geht, sind nicht von Natur aus bösartig oder
gewalttätig. Es handelt sich vielmehr um Völker, die mit den Folgen einer verfehlten
regionalen Ordnung leben müssen, die im Anschluß an den Berliner Kongreß vor mehr
als hundert Jahren geschaffen wurde. Und in Serbien leiden die Menschen noch dazu unter
einer furchtbaren politischen Führung. Trotz einiger ermutigender Entwicklungen,
wie z.B. den jüngsten Veränderungen in Kroatien, ist die
Wirklichkeit von heute düster. Daher müssen wir ihnen den Weg nach Europa zeigen.
Auch die Entwicklungen im Mittelmeerraum
kann die EU entscheidend beeinflussen. Vor nicht allzu langer Zeit betrachtete die
EU ihre Mittelmeerpolitik vor allem als Teil der
Entwicklungszusammenarbeit. Dies gehört inzwischen der Vergangenheit an. Wir haben
natürlich ein gewaltiges Entwicklungsprogramm für diese Region aufgelegt, das in
den letzen Jahren rasant gewachsen ist und inzwischen ein Viertel der gesamten Auslandshilfe der EU ausmacht. Aber die
Entwicklungshilfe ist heute nur Teil einer viel umfassenderen Politik. Vor fünf Jahren
riefen wir die Partnerschaft Euro-mediterrane - den sogenannten Barcelona-Prozeß
- ins Leben. Unser Ziel dabei ist es, einen gemeinsamen Raum des Friedens, des Wohlstands und der Sicherheit in der Region südlich der EU zu schaffen, auf der Grundlage des
freien Handels und dem Modell NAFTA. Wir wollen die Menschenrechte, die Demokratie
und die Prinzipien des Rechtsstaats in der ganzen Region fördern. Und wir streben
dabei eine kooperative Partnerschaft an, die zur Festigung eines künftigen Friedens im Nahen
Osten beitragen kann.
Es besteht die Gefahr, daß Begriffe wie Partnerschaft zu diplomatischen Floskeln verkommen,
wenn sie sich nicht auf feste Ziele und Zeitpläne stützen können. Ich bin aus diesem
Grund entschlossen, dem Barcelona-Prozeß neue Impulse zu geben. Die Kommission ist
von den Ministern aufgefordert worden, noch vor der Sommerpause entsprechende Vorschläge auszuarbeiten.
Ich könnte diese Tour der Weltpolitik beliebig fortsetzen - ich habe tatsächlich manchmal
den Eindruck, als würde ich mein Leben zur Zeit nur noch in Flugzeugen verbringen.
Ich kann Sie aber beruhigen - ich habe nicht vor, in dieser Rede auf den Soll- und
Ist-Zustand der Politik der EU
gegenüber Lateinamerika, Afrika, Asien oder dem Nahen Osten näher einzugehen. Zum
Schluß möchte ich dennoch einige Themen kurz aufgreifen, die für die Zukunft Europas
insgesamt von zentraler Bedeutung sind: Rußland, die bevorstehende Erweiterung der
EU und die ersten Schritte
zum Aufbau einer eigenständigen europäischen militärischen Kapazität.
Zunächst zu Rußland
, dessen Wandel eine der hervorstechendsten Entwicklungen der vergangenen 50 Jahre
war. Die künftigen Beziehungen zwischen Rußland und der EU sind von großer Bedeutung
für unseren Kontinent - und bleiben unklar. Denn Rußland ist zweifellos europäisch,
aber es ist nicht westlich. Rußland ist eine Großmacht, doch das Volumen seiner geschwächten
Wirtschaft beträgt nur 8% der Wirtschaft der EU, und sein Außenhandel hängt zu 40%
von ihr ab. Was bedeutet dies für unsere langfristigen Beziehungen? Was bedeutet
dies für Länder von Zentralasien über den Kaukasus bis zur Ukraine, die zwischen den
großen kontinentalen Polen liegen? Diese Frage mag zu leidenschaftlichen theoretischen
Debatten über die geographischen Grenzen der Union und über religiöse und kulturelle
Unterschiede führen. Mein Ansatz ist pragmatisch. Es liegt ebenso in unserem Interesse,
wie es unsere Pflicht ist, all diesen Ländern und vor allem Rußland Hilfe beim Aufbau
der Strukturen zuzusichern, die sie für eine gesunde wirtschaftliche und politische
Entwicklung benötigen. Auf diese Priorität sollten wir uns erst einmal konzentrieren.
Die Russen haben von jeher mehr Vertrauen in starke Führer als in starke Institutionen
gesetzt. Doch wenn sie nun Investitionen auf sich lenken wollen, wenn sie ihre enormen
Schwierigkeiten hinsichtlich der nuklearen Sicherheit überwinden wollen, wenn sie
die Unterhöhlung durch Korruption und Betrug bekämpfen wollen, kurz, wenn sie langfristig
wieder die Großmacht werden wollen, die sie sein sollten, dann brauchen sie solide
und effiziente Institutionen, die den Rechtsstaat untermauern. Auch die besten Gesetze werden keine Veränderung bewirken, wenn sie in der Praxis nicht angewandt werden
können und wenn die Gerichte zu schwach sind, sie durchzusetzen.
Die EU ist sehr an einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit mit Rußland interessiert.
Auf dem Gipfel EU-Rußland in Moskau Ende letzten Monats konnte ich die Hoffnung auf
einen Neubeginn unter Präsident Putin spüren. Doch wir können nur helfen, wenn Rußland sich selbst dem Schutz der individuellen Rechte und dem Rechtsstaat verpflichtet.
Die Ereignisse in Tschetschenien werfen weiterhin einen langen Schatten.
Wie ich bereits erwähnte, hat Rußland einen großen Einfluß auf unsere Erweiterung
, die die Union in den kommenden Jahren verändern wird. Es ist unmöglich, mit Genauigkeit
vorherzusagen, wie sich die Aufnahme so vieler neuer Mitgliedstaaten auswirken wird.
Sie wird radikale Veränderungen in unseren derzeitigen Institutionen
erfordern, was bereits zu der spannenden Debatte geführt hat, die im letzten Monat
von Joschka Fischer eingeleitet wurde. Ich möchte mich hier dieser Debatte nicht
anschließen, sondern lediglich anmerken, daß ich Herrn Fischers Konzept - nämlich
Nationalstaaten mit einer Souveränitätsteilung im Rahmen eines Verfassungsvertrags, verbunden
mit einer größeren
demokratischen Kontrolle und Rechenschaftspflicht - zwar nachvollziehen kann, es jedoch
für wichtig halte, daß die Befugnisse von unten nach oben übertragen werden, d.h.
von den einzelnen Staaten auf die geschaffene Zentralstruktur und nicht umgekehrt.
Die Nationalstaaten bilden die grundlegende politische Einheit und damit den wichtigsten
Bezugspunkt für die Loyalität der Öffentlichkeit. Davon abgesehen wird die Erweiterung
der EU radikale Veränderungen in ihrer Politik
, einschließlich der Agrarpolitik, erfordern. Gehen wir hier sensibel vor, könnte
sich dies als hilfreiches Stimulans statt als Nachteil der Erweiterung erweisen.
Unabhängig von den strukturellen und politischen Auswirkungen stellt die Erweiterung
den größten Einzelbeitrag dar, den die EU zur europäischen - ja sogar zur globalen
- Stabilität leisten kann. Ich betrachte die Projizierung von Stabilität
als wichtigste Aufgabe der EU und als zentrales Ziel der GASP. Die Erweiterung der
EU ist selbst das beste Beispiel für diese Politik. Wir haben bereits in
Griechenland, Spanien und Portugal gesehen, wie die EU-Mitgliedschaft die Stabilisierung
von Ländern unterstützt hat, die eine Diktatur erlebt hatten.
Schließlich möchte ich, wie versprochen, einige Worte zur Sicherheit
und zur Rolle der Kommission innerhalb der entstehenden Strukturen sagen. Die Staats-
und Regierungschefs haben ihr unmittelbares Ziel ohne Umschweife genannt. Sie wollen
bis zum Jahr 2003 in der Lage sein, eine Truppenstärke von 50-60 000 einzusetzen,
die die gesamte Spannbreite der sogenannten Petersberg-Aufgaben ausüben können: humanitäre
und Rettungsmaßnahmen, Friedenserhaltung und sogar
Friedensschaffung
. Die Franzosen haben ihre Entschlossenheit zum Ausdruck gebracht, dieses Ziel während
ihres Vorsitzes mit aller Kraft voranzutreiben. Generalsekretär Solana befaßt sich
eingehend sowohl mit den operationellen Aspekten, d.h. dem Aufbau von Kommando- und
Kontrollstrukturen für europäische Maßnahmen, als auch mit den institutionellen Aspekten,
einschließlich der Einbeziehung von Nicht-Nato-Mitgliedern der EU und Nicht-EU-Mitgliedern
der Nato. All diese Arbeiten werden von mir unterstützt. Allerdings tue ich dies in vielfacher Hinsicht mehr als interessierter Beobachter, denn als aktiv Mitwirkender.
Bedeutet dies, daß sich die Kommission von dem gesamten Bereich fernhalten sollte?
Einige - vielleicht auch in diesem Saal - würden dies bejahen: Militärische Fragen
sind Sache der Mitgliedstaaten, und die Gemeinschaftsinstitutionen sollten sich um
ihre eigenen Angelegenheiten kümmern. Dies ist aus mindestens zwei Gründen falsch:
- Erstens, da die Kommission zwar in Verteidigungsfragen nichts zu sagen hat - und
wir dies auch nicht anstreben -, es jedoch unmöglich ist, militärische Fragen gänzlich
von damit zusammenhängenden Themen zu trennen, für die wir zuständig sind
und zu denen wir einen echten
Beitrag zu leisten haben. Militärische und nichtmilitärische Aktionen können nicht
fein säuberlich in getrennte Schubladen gepackt werden und sollten es auch nicht,
da sie im Interesse einer einheitlichen Strategie eng miteinander koordiniert werden
müssen. Die Kommission kann beispielsweise eine politische Unterstützung bei der Abwendung
eines Konflikts finanzieren, wir können die Schulung von Grenzbeamten organisieren,
wenn eine unkontrollierte Masseneinwanderung Konflikte
verursacht, oder wir können den Wiederaufbau von Verwaltungsstrukturen in Ländern
unterstützen, die eine Krise hinter sich haben, wie es derzeit auf dem Balkan der
Fall ist. Die Kommission verfügt über eine eindrucksvolle Spanne an Instrumenten
und Sachkenntnissen, die in das Gesamtkonzept der EU für Krisensituationen integriert werden
müssen - von Minenräumungsprojekten über Streitschlichtung bis zur Unterstützung
der unabhängigen Medien. All dies bedeutet, daß wir in die tägliche Arbeit der entstehenden
Sicherheitsstrukturen der EU einbezogen werden müssen. Die Kommission arbeitet derzeit
mit den Mitgliedstaaten an der Festlegung nichtmilitärischer Zielvorgaben, die die
militärischen Ziele ergänzen werden.
- Der zweite Grund, aus dem es nicht sinnvoll ist, die entstehenden Sicherheitsstrukturen
von der Kommission abzuschotten, besteht darin, daß der Handel mit und die Herstellung
von Rüstungsgütern innerhalb des Binnenmarkts nicht als Sperrgebiet behandelt werden können. Der Wettbewerb zwischen Rüstungsunternehmen, die Forschung und Entwicklung,
der Export von Rüstungsgütern, die internen marktwirtschaftlichen Aspekte des Handels
mit Rüstungsgütern und die
Dual-use-Güter, die sowohl zivilen als auch militärischen Verwendungszwecken dienen
- all dies sind Bereiche, in denen der europäischen Industrie die Vorteile des Binnenmarkts
nicht vorenthalten werden sollten.
In diesen Bereichen muß die Kommission mit großer Sensibilität vorgehen. Wie ich bereits
ausgeführt habe, streben wir keine Rolle in Verteidigungsfragen oder in der militärischen
Entscheidungsfindung an. Ich möchte jedoch für die Unteilbarkeit der europäischen
Außenpolitik plädieren, die nicht auf einen Pfeiler des Vertrags begrenzt sein darf.
Die Kommission muß uneingeschränkt in die gesamte GASP einbezogen werden.
Abschließend möchte ich noch folgendes hinzufügen:
Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik hat sich in der Europäischen Union nur
langsam entwickelt und steht immer noch auf tönernen Füßen, da es sich um einen Bereich
handelt, in dem die
Mitgliedstaaten zu Recht auf ihre nationalen Privilegien pochen. Sie sind nur inner