Was macht eigentlich Jamie Shea?

Der promovierte Historiker kam im Frühjahr 1999 zu trauriger Berühmtheit: Der Brite musste als Sprecher der Nato täglich die Strategien ihrer Streitkräfte im Kosovokrieg erläutern.

Journalist: Herr Shea, wie oft haben Sie, als Nato-Sprecher, während der 87 Tage des Kosovokrieges gelogen?

Shea: Gelogen haben wir nicht wir haben nicht wissentlich die Unwahrheit gesagt. Wir haben Fehler gemacht. Und wir haben versucht, daraus zu lernen. Es war ein echter Fehler, abzustreiten einen Zivilkonvoi bombardiert zu haben. Es gab mehrere Angriffe am selben Tag und wir hatten etwas verwechselt. Immerhin waren wir weit besser als Winston Churchill. Er gab im Zweiten Weltkrieg eine Pressekonferenz pro Monat. Wir hatten tägliche Briefings. Das erhöht das Fehlerrisiko. Aber die übergroße Masse unserer Informationen war korrekt. Ich bin mir sicher: Verglichen mit früheren Konflikten haben wir einen neuen Maßstab für Transparenz und Offenheit gegenüber den Medien gesetzt.

Alles was man mir vorgeworfen hat, ist mein Cockney-Akzent und angebliche Grammatikfehler. Dazu kann ich nur sagen, dass ich einen Doktor in Geschichte von der Universität von Oxford habe. Ich kann korrektes Englisch sonst wäre ich nicht Nato-Sprecher. Aber wenn man 16 Stunden am Tag arbeitet, kommt der Akzent am Ende stärker raus aus Müdigkeit. Was wirklich stimmt, was man alles über mich erzählt hat ist, dass ich nie eine Uniform getragen habe. In Großbritannien gibt es eben seit 1958 keine Wehrpflicht mehr. Ich habe Tausende von Büchern über Kriege und Schlachten gelesen, habe aber nie in einem Panzer gesessen. Man hat mir nach dem Kosovo-Einsatz angeboten, in einem Militärjet mitzufliegen. Das habe ich nie angenommen. Würde ich in so einer Maschine sitzen, bekäme ich wahrscheinlich eine Herzattacke.

Ich bin ja nicht absichtlich, sondern zufällig berühmt geworden. Das lässt sich genauso wenig konservieren wie die Farbe aus dem Sommerurlaub. Neulich hat mich in New York ein Mann angesprochen. Er sagte: "Ich kenne Sie. Sie sind doch der Typ, dem ich letzte Woche diesen Gebrauchtwagen verkauft habe". Vor sechs Monaten hätte er gesagt: Sie sind doch "Jamie Shea". Während des Kosovokrieges habe ich viel Fanpost von Frauen bekommen sogar Wohnungsschlüssel. Neun von zehn Briefen kamen von deutschen Frauen. Seitdem weiß ich: Wenn ich mich je scheiden ließe, müsste ich nach Deutschland gehen. Spaß bei Seite, ich halte immer noch Vorlesungen an den Unis von Brüssel und Washington. Ich muß leider feststellen, dass die Studenten oft weniger an meiner akademischen Brillianz, als an meinen Geschichten aus dem richtigen Leben interessiert sind.



© 2000, Francopolis. Tous droits réservés.