ROBERT BOHN/MICHAEL ENGELBRECHT (Hg.): Weltgeltung und Regionalität. Nordeuropa um 1900. (= Veröffentlichungen des Zentrums für Nordische Studien. Bd. 4). (= studia septemtrionalia. Bd. 1). Verlag Peter Lang: Frankfurt am Main 1992. 314 S., 52 Abb.

Mit dem Band Weltgeltung und Regionalität legt das Kieler "Zentrum für Nordische Studien" die Beiträge seines letzten, des vierten, wissenschaftlichen Kolloquiums vor. Mit achtzehn Aufsätzen, der Transkription der Abschlußdiskussion und einem 30seitigen Abbildungsteil dokumentiert dieser Sammelband das bisher ehrgeizigste Unternehmen des interdisziplinären Arbeitskreises.

Hain Rebas gelingt es in seinem Einführungsreferat "Nordeuropa um 1900", auf die Themen der folgenden Beiträge hinzuweisen und sie in das Gesamtthema "Weltgeltung und Regionalität" einzuordnen. Deutlich wird aber schon in dieser Einleitung, daß auf dem Kolloquium zwar viele Themen behandelt wurden, aber nur wenige Beitragende in ihren Artikeln auch interdisziplinär vorgehen. So bemüht sich Michael Engelbrecht um eine Analyse der deutschen Rezeption der Eismeerfahrten, gelangt aber über eine Stoffsammlung nicht hinaus, der Beitrag von Sven Lundkvist zu den schwedischen Volksbewegungen verbleibt rein politikgeschichtlich und bringt kaum Neues. Das gilt auch für Karl-Heinz Willroths Arbeit zur europäischen Vorgeschichtsforschung, der seine zwanzig Seiten fast zur Hälfte mit umfänglichen Zitaten füllt.

Die kunstgeschichtlichen Beiträge von Charlotte Christensen zum Menschenbild, Lars-Olof Larsson zum nationalen Gedanken und Jan Otto Hansen zur Religiosität in der nordischen Kunst bieten gute Einblicke in die bildende Kunst der Jahrhundertwende in Skandinavien, geben aber auch nur Einzelfacetten wieder. In den volkskundlichen Beiträgen von Anja Segert zur Kalevala, Silke Göttsch zu finnischen Anstößen in der Märchenforschung, Nils-Arvid Bringéus zur schwedischen folkminneforskning sowie Kai-Detlev Sievers zum Einfluß schwedischer Museumskonzeptionen wird das (gelungen zu nennende) Bemühen deutlich, das Gewicht Nordeuropas in der europäischen Wissenschaftsentwicklung zu betonen.

Die musikwissenschaftlichen Aufsätze von Heinrich W. Schwab ("Weltmusik und Nordischer Ton"), Friedrich Krummacher (zu Nielsen und Stenhammar) und Jan Ling (über Hugo Alfvén) überzeugen zwar in ihrer Präsentation, geben aber kaum Anlaß, über den fachwissenschaftlichen Tellerrand hinwegzugucken.

Auch Ulla Torpe bleibt in ihrer Arbeit zu Selma Lagerlöf bei ihren literaturwissenschaftlichen Leisten, während sich die letzten drei zu besprechenden Beiträge um einen Blick über den eigenen Zaun bemühen und als die besten und kreativsten Arbeiten in diesem Sammelband gelten können. Spannend zu lesen ist Bernhard Glienkes Untersuchung von Pelle der Eroberer als Roman und als Film. Er geht hier der unterschiedlichen Darstellung des Lebens auf Bornholm nach, die bei Andersen Nexø aus sozialistischer Perspektive erfolgt, beim Regisseur Bille August hingegen bürgerlich sublimiert wird. Während es so Andersen Nexø gelingt, den ersten gründlichen materialistischen Bildungsroman in Handlung umzusetzen (S. 136f), macht August aus dem proletarischen Wanderungsroman einen bürgerlichen Auswanderungsfilm (S. 143). Ergänzt wird dieser Beitrag durch Anker Gemzøes gründlicher Analyse der Werke von Andersen Nexø, vor allem der Pelle Tetralogie und deren Einordnung in die dänische Welt der Jahrhundertwende. Annegret Heitmann analysiert in ihrem knappen, aber hervorragenden Aufsatz zu Kjeld Gredes Film "Hip Hip Hurra" die komplexe Umsetzung des künstlerischen Milieus im Dänemark der Jahrhundertwende in das Medium des Films.

Bieten alle Aufsätze einen mehr oder weniger großen Informationsgewinn, so ist die Form des Sammelbandes eine einzige Katastrophe. Die Tagung fand 1989 statt, der Sammelband erschien 1992. Es sollte also genügend Zeit für die beiden Herausgeber gegeben haben, um die Beiträge zu bearbeiten und vielleicht zu redigieren - aber weit gefehlt, von Korrekturlesen, geschweige denn Lektorierung kann keine Rede sein:

Der Literatur- bzw. Anmerkungsapparat ist uneinheitlich. Teilweise wird ganz auf Literaturangaben und Anmerkungen verzichtet, selbst dort, wo fremde Tabellen im Text aufgeführt werden (S. 9f), oder wo wörtlich zitiert wird (S. 26 passim), bei anderen finden sich Anmerkungen als Fußnoten, aber keine zusammenfassenden Literaturlisten, anderswo gibt es pauschale Literaturhinweise (S. 53, 267), leider nur selten ausführliche Anmerkungen und befriedigende Literaturangaben. Eine Zusammenfassung aller Titel am Ende des Bandes wäre eine verdienstvolle Arbeit der Herausgeber gewesen.

Ärgerlich sind die zahlreichen orthographische Ungereimtheiten: So wird Hugo Alfvén nur im Beitrag von Jan Ling richtig buchstabiert, in allen anderen Artikeln aber konsequent falsch (S. 7, 8, 21, 271, 279). Ähnlich ergeht es dem Skagenmaler Peder Severin Krøyer, der auf den Seiten 36 passim Peter heißt und schließlich im Protokoll der Abschlußdiskussion zu "Kroyer" (S. 274) mutiert . Schlimmer noch ergeht es Joseph Beuys, der sich hier "Beus" schreibt. Es wundert da nicht, daß auch so prominente skandinavische Persönlichkeiten wie Bjørnson, Munch, Sibelius, Bang, Heidenstam, Larsson oder Almqvist falsch und teilweise im selben Aufsatz unterschiedlich buchstabiert werden (S. 5, 7, 21, 97, 98, 163, 272, 280 und passim). Warum läßt man im selben Satz Ibsens Stück "Genga(sic!)ngere" auf Norwegisch stehen, übersetzt aber Strindbergs "Der Vater" (S. 50)? Im Inhaltsverzeichnis wird der Titel des Aufsatzes von Ling falsch wiedergegeben - wie auch die sieben anderer, der Beitrag von Karl-Heinz Willroth erhält dort sogar eine sachlich falsche Überschrift.

Widersprüchliche inhaltliche Aussagen hätten von einem fachkundigen Lektorat geklärt werden müssen. So verlegt Hain Rebas die Gründung der sozialdemokratischen Partei in Dänemark auf 1881 (S. 19), Anker Gemzøe macht sie - korrekter Weise - zehn Jahre älter (S. 124). Während Rebas bei der dänischen Aussperrung von 1899 (hier "Lockout" genannt, S. 13) 34.000 ausgesperrte Arbeiter zählt, sind es bei Gemzøe mehr als 40.000 direkt und weitere 80.000 indirekt betroffene (S. 124). Während wieder Rebas vage behauptet: "Mehr als eine halbe Million Schweden gehörten den drei etablierten Volksbewegungen an, dazu vielleicht noch 1/2 Million Kinder und Jugendliche." (S. 17), zählt Sven Lundkvist genauer: "Ca. 830.000 Erwachsene waren Mitglieder in diesen. Dazu kamen Jugendliche und Kinder in der übrigen Arbeit. (?)" (S. 263). In Tab. 4 (S. 10) wird von "Ausgewanderte in Prozent" gesprochen, ohne zu erläutern, auf welche Größe sich die Prozente beziehen. Viele weitere Beispiele dieser Art könnten noch folgen.

Die Rezension des vorletzten Kollquiumbandes des ZNS schloß Annegret Heitmann in der Skandinavistik 1990 mit einer Bitte: "Bleibt (...) zu wünschen, daß die Publikationen des 'ZNS' in Zukunft etwas leichter auffindbar und als solche identifizierbar werden (und nicht auf drei verschiedene Reihen verstreut, von denen der dritte Band gleichzeitig Band 9 einer anderen Reihe ist) und daß der äußeren Form etwas mehr Sorgfalt gewidmet wird. In einem solchen Sammelband, der (...) durchaus wertvolle Beiträge (..) enthält, sind eine mangelnde Koordinierung unterschiedlicher formaler Regelsysteme, etliche Druckfehler und Ungereimtheiten des Textverarbeitungsprogramms (...) kaum wünschenswert." Der hier besprochene Band ist in einer neuen, der vierten Reihe erschienen und handwerklich noch schlechter gemacht als der vorherige. Die Ratschläge von 1990 wurden leider nicht beherzigt, den guten Beiträgen in diesem Band wurde damit ein schlechter Dienst erwiesen.

publiziert in: Skandinavistik 25 (1995), S. 77 - 79