Reinhold Wulff

Auch das NordeuropaForum hat sich in diesem Columbus-Jahr an mit mehreren Artikeln an der Diskussion beteiligt, ob die Wikinger vor Christoph Columbus in Amerika waren, ja, ob Columbus selbst ein Nordeuropäer war. In allen Artikeln wurde nachgewiesen, daß die Wikinger die ersten waren. Taugen die Quellen aber wirlich?

Die isländischen Sagas, die Vinland-Karte und vor allem die Ausgrabungen in Newfoundland belegen die Fahrten der Grönländer und/oder Isländer nach Nordeuropa, inzwischen etwa eintausend Veröffentlichungen beschäftigen sich mit diesen frühen Entdeckungsreisen. Die im NordeuropaForum vorgelegten Beweise werden ergänzt durch weitere Belege, die beredte Auskunft geben über den Eifer, den so mancher Forscher an den Tag legt, wenn es um die eigene oder die nationale Ehre geht. Einige Beispiele sollen im folgenden geschildert werden.


Der Kensington Runenstein


Bereits um 1970 wurden in Nordamerika über zwanzig Runeninschriften und etwa siebzig Gegenstände gezählt, die die Wikinger hier ließen sowie fünfzig Orte gezählt, an denen Wikinger siedelten. Eines der berühmtesten Beispiele ist der 1898 bei Kensington in der Nähe der Großen Seen gefundene Runenstein. Der Farmer Olof Ohman entdeckte den über zweihundert Pfund schweren, 75 cm hohen Stein im Erdboden, wo er vom Wurzelwerk eines Baumes umklammert war. Der Stein wies zahlreiche Zeichen auf, die als Runen identifiziert wurden. Die Inschrift wurde jedoch bald als Fälschung entlarvt, da einige Runen unbekannt oder anachronistisch waren und die Sprache des Textes als "Skandinavisch" mit einigen amerikanischen Einsprengseln angesehen wurde. Der Stein geriet daraufhin in Vergessenheit, bis sich der Amateurhistoriker Hjalmar Rued Holand (man bemerke die skandinavischen Namen der Beteiligten!) sich seiner mit wachsender Begeisterung annahm. Er übersetzte den Text des Steins wie folgt:

Wir sind acht Goten (= Schweden) und 22 Norweger auf einer Erkundungsfahrt von Vinland durch den Westen. Wir lagerten an einem See mit zwei Schären, eine Tagesreise nördlich dieses Steins. Wir waren unterwegs und fischten, als wir eines Tages heim kamen und wir zehn Leute rot vor Blut und tot fanden. Ave Maria, rette uns vom Übel. Zehn Leute von uns sind vierzehn Tagesreisen von dieser Insel entfernt am Meer und wachen über unsere Schiffe. Im Jahre des Herrn 1362.

Holand brachte die Inschrift in Verbindung mit einer möglichen Expedition unter der Leitung Paul Knutsons nach Grönland und Vinland, die 1355 vom schwedischen König Magnus Eriksson ausgesandt worden war und erst 1364/65 wieder zurückgekehrt war. Nachdem Holand den Text historisch verankert glaubte, mußte er die Einwände gegen die Echtheit entkräften. Die anachronistischen Runen erklärte er mit der langen Reise der Wikinger. Auf dieser langen Fahrt hätten sie wohl die eine oder andere Rune vergessen und sie durch eigene Erfindungen in Anlehnung an lateinische Buchstaben ersetzt. Das Sprachgemisch sei Beleg für den Umbruch, in dem sich die skandinavischen Sprachen im 14.Jahrhundert befunden hätten. Erstmals wurde Skandinavien gemeinsam regiert (was tatsächlich erst dreißig Jahre nach dem im Stein genannten Datum der Fall war), Dänisch, Schwedisch und Norwegisch hätten sich stark beeinflußt. Schließlich lebte die gemischt norwegisch-schwedische Mannschaft bei Aufstellung des Steins schon sieben Jahre zusammen und sie hätte eine spezifische Umgangssprache ausbilden können.

Weitere Argumente fand Holand in den zahlreichen Anlegestellen für Wikingerboote, die in Minnesota angeblich gefunden wurden und in vielen mittelalterlichen Überresten (Werkzeuge, Waffen), die im Mittleren Westen der USA ausgegraben wurden.

In der Wissenschaft ist heute nicht umstritten, daß alle diese "Beweise" wertlos sind. Die Inschrift weist viele Unstimmigkeiten auf, sie ist so einfach, daß viele in Kensington sie fälschen konnten. Dafür spricht das schnelle Erscheinen dreier Übersetzungen der Runen in Zeitungen des Mittleren Westens, kurz nachdem vom Fund berichtet wurde. Die auf dem Stein benutzte Sprache hat Anklänge an einen Dialekt aus Dalarna. Von dort stammte der Entdecker Ohman, in dessen Nachlaß sich zudem Schriften über Runen fanden.

Trotzdem hat der Stein einen Ehrenplatz im Museum zu Alexandria, Minnesota, die sich werbewirksam als Wikingerstadt präsentiert.

Die abenteuerlichsten Belege für die Anwesenheit der Wikinger auf amerikanischem Boden finden sich in einigen völkerkundlichen Theorien. Man entdeckte etwa bei den Mandan-Indianern in Minnesota nordische Züge und schließt auf die Vermischung der im Kensington Runenstein erwähnten Nordleute mit den Rothäuten. Auch die Thule-Eskimos in Nordamerika sollen das Ergebnis einer Rassenmischung von Dorset-Eskimos mit Wikingern sein. Außerdem weist das isländische Ballspiel knattleikr große Ähnlichkeit mit dem indianischen Lacrosse auf - eine Untersuchung von William Hovgaard weist diesen Zusammenhang auf achtzehn Seiten nach!


Scheitern


Das Ehepaar Ingstad (vgl. NordeuropaForum 3/1992) hat aufgrund der Grabungen in Newfoundland inzwischen nordische Siedlungen schlüssig nachweisen können. Warum wurde Amerika aber nicht in die skandinavische Welt einbezogen, woran scheiterten die Wikinger?

Die Hauptursache war sicherlich die geringe Anzahl von Wikingereinwanderern in ein bereits flächendeckend von Indianern (bzw. Eskimos) besiedeltes Gebiet. Nicht nur zahlenmäßig, sondern auch waffentechnisch waren die Wikinger unterlegen. Hinzu kam die unsichere Verbindung mit Skandinavien, Island oder Grönland, die für einen stetigen Nachschub von Menschen und Materialien nicht ausreichte. Außerdem verschlechterte sich die Lebenssituation auf Grönland dramatisch (Klima, Seuchen, Eskimoüberfälle, Sinken der Exporterlöse aufgrund internationaler Konkurrenz bei Fellen, Pelzen und Wolle) und dieses abgelegene Eiland wurde in Norwegen vergessen. Bergen, das das norwegische Handelsmonopol mit Grönland besaß, wurde 1393 und 1428/29 von deutschen Kaperern geplündert, wodurch eventuell die Handelskontakte ganz abrissen und notwendige Nahrungsmittel nicht mehr in den Westen geschickt wurden. Damit war dann auch Vinland von Skandinavien isoliert und auf sich allein gestellt.

Der Ruhm, die westliche Welt entdeckt zu haben, bleibt Erik, Leif, Bjarni und ihren skandinavischen Begleiterinnen und Begleitern, für Europa entscheidend aber war die Inbesitznahme Amerikas durch Columbus und die Spanier.