Sammelrezension:

Autor: © Reinhold Wulff, Berlin

Die politische Hanserenaissance hat zu einer Schwemme populär- und fachwissenschaftlicher Buchveröffentlichungen geführt. Es ist an der Zeit, diese Produktionen kritisch zu betrachten.

Seit Jahrzehnten schon ist das aus dem Französischen übersetzte Werk "Die Hanse" von Philippe Dollinger das Standardwerk zur Geschichte des hansischen Handelsverbandes. Der französische Historiker geht in seinem Übersichtswerk streng chronologisch vor, beginnend mit dem Handel in Nordeuropa im 12. Jahrhundert und endend mit dem Nachwirken des Dreißigjährigen Krieges. In dem Kapitel zur Glanzzeit der Hanse (14. und 15. Jahrhundert) fügt er zudem Abschnitte ein, in denen er Strukturen der erfolgreichen Handelsorganisation (Städte, Kaufleute, Handel, Kultur etc.) beschreibt. In diesem bereits in vierter Auflage vorliegenden Band vermißt man nichts an Informationen, fast erdrückend wirkt die Vielfalt der Daten und Ereignisse, die dem Lesenden zugemutet werden. Aber dank der beiden ausführlichen Register findet sich auch jeder zu recht, der nur über besondere Abschnitte oder spezielle Aspekte des Hanselebens informiert werden möchte. Den ganzen Text von vorn bis hinten zu lesen gibt zwar einen vollständigen Überblick, wirkt aber, auch aufgrund der dürren Sprache, sehr ermüdend.


Philippe Dollinger
Die Hanse
Aus dem Französischen übersetzt von Marga und Hans Krabusch
Stuttgart: Alfred Kröner, 4., erw. Aufl. 1989
640 S., DM 36,-


Als vorzügliche Einführung erfüllt der Kröner-Band alle Wünsche, insbesondere auch, weil sich im einhundert Seiten umfangreichen Anhang viele zentrale Quellen, Statistiken und Karten (die in fast allen Hansedarstellungen, oft ohne Quellennachweris, wieder auftauchen) finden, die sonst schwer erreichbar sind. Insofern bietet Dollinger auch für das intensive Eigenstudium und mehr noch für den universitären Unterricht über die Hansegeschichte eine vorzügliche Grundlage.

Bei dem Lob bleibt doch ein Wermutstropfen nachzutragen: Der ursprüngliche Text von 1964 wurde auch für die vierte Auflage nicht verändert, neuere Forschungsergebnisse finden sich lediglich im knapp dreißig Seiten umfassenden Kapitel "Die Entwicklung der Hanseforschung 1960 bis 1985". Dieser Abschnitt ist zwar ein kompetenter Literaturbericht, erschwert aber die Orientierung im Text sehr, denn eigentlich müßte man nach der Lektüre eines Kapitels weit hinten im Buch nachschlagen, ob das gerade Gelesene durch neuere Forschungsergebnisse relativiert werden muß. Aber wer unterzieht sich schon dieser Mühe? Schön wäre eine Neuauflage, die Ergebnisse der Hanseforschung der letzten fast vierzig Jahre mit in den laufenden Text einarbeiten würde - diese Bitte sei recht herzlich an den Verlag gerichtet.

Anders als Dollinger geht der Kieler Hanseforscher Klaus Friedland an die Aufgabe, eine Übersicht der hansischen Geschichte zu geben: Er verfährt nicht chronologisch, sondern handelt in Einzelkapiteln die unterschiedlichen Strukturen, Träger und Organisationsformen der Hanse ab. Diese Herangehensweise macht das Bändchen zu einer teilweise spannenden Lektüre, die allerdings von der Leserin und dem Leser verlangt, bereits Grundkenntnisse der mittelalterlichen Handelsgeschichte zu besitzen. Fehlen diese, wird man sich oft verloren vorkommen in der Diskussion von Tendenzen, Strukturen und Entwicklungslinien, denn entsprechendes Grundwissen wird vom Autor stillschweigend vorausgesetzt. So eignet sich dieser Band wirklich eher als Denkanstoß denn als Nachschlagewerk, zumal zwar ein Namens-, aber kein Sachregister beigefügt wurde.


Klaus Friedland
Die Hanse Stuttgart: Kohlhammer Urban Taschenbücher, 1991
223 S., DM 24,-


Der bereits vorinformierte Lesende des Buches wird jedoch die Darlegungen unterschiedlicher Forschungspositonen (dazu dient auch ein allerdings sehr knapper Literaturüberblick) sowie die systematische Analyse zentraler Begriffe, Handelnder und Organisationsformen nützlich finden. Ein Manko ist allerdings, daß sich Wiederholungen häufig nicht vermeiden lassen und irritierend, ja ermüdend wirken. Oft muß ein Ereignis, das in einem Kapitel bereits erwähnt wurde, in einem späteren erneut aufgenommen und erörtert werden. Vielleicht dachte der Autor ja an ein Lesepublikum, das sich nur einzelne Aspekte herauspickt, zur Ergänzung der Informationen, die man vorher schon Dollingers Buch entnommen hat, und rechnete nicht mit denen, die das ganze Buch von vorn bis hinten durchlesen. Dann hätte dem Werk aber neben dem Namenregister ein Sachregister gutgetan, um sich schneller im Text zurechtfinden zu können. Leider hat der Verlag daran nicht gedacht, wie die gesamte Herstellung etwas zu wünschen übrig läßt: Der Buchstabenabstand ist teilweise so gering, daß einzelne Wörter ineinander geschrieben sind. Trotz dieser Schwächen - zu denen eine teilweise dem wissenschaftlichen Habitus der Abhandlungen zuwider laufende blumige Sprache zählt - ist dieses Hansewerk eine empfehlenswerte Lektüre für die, die bereits die Grundzüge ihrer Geschichte kennen.

Wer sein Wissen erweitern will und einen Überblick über die Schaffenskraft des wohl bedeutendsten lebenden deutschen Hansewissenschaftlers gewinnen will, dem sei die ihm zum 75. Geburtstag gewidmete Festschrift empfohlen:


Klaus Friedland
Mensch und Seefahrt zur Hansezeit
Köln: Böhlau, 1995
338 S., DM 78,-


Dieser Band enthält zwanzig Aufsätze Friedlands, die teils in schwer zugänglichen Zeitschriften publiziert worden waren und hier geschlossen gesammelt sind. Stadtrechtliche, biographisch oder regional orientierte Aufsätze zeigen nicht nur die Bandbreite der Arbeiten Friedlands, sondern lassen auch in den vermeintlichen Spezialuntersuchungen immer wieder grundsätzliche Probleme der Hanseorganisation durchscheinen. Ein Schriftennachweis am Ende des Sammelbandes weist deutlich auf die Produktivität des ehemaligen Direktors der schleswig-holsteinischen Landesbibliothek in Kiel hin. Ein schöner Band, auch handwerklich hervorragend hergestellt - aber in Anbetracht des Preises ein wohl vorwiegend nur von Bibliotheken zu erwerbendes Buch.

Auch Uwe Ziegler versucht in seinem populär angelegten Werk strukturelle und thematische Zusammenhänge geschlossen im zweiten Teil seines Buches darzustellen, nachdem er im ersten im wesentlichen chronologisch voranschreitet. Leider ist das Buch mißglückt, unter anderem weil ein unaufmerksames Lektorat sprachliche Patzer (z.B. ständiger Wechsel, teilweise in einem einzigen Satz, zwischen Präsens und Imperfekt in der Darstellung) sowie penetrante Wiederholungen (die Zerstörung Schleswigs 1156 findet man so auf S. 8, 15, 16, der Schutzvertrag zwischen Hamburg und Lübeck von 1241 wird auf den aufeineinanderfolgenden Seiten 84, 85 und 86 geschlossen) nicht korrigiert hat.


Uwe Ziegler
Die Hanse
Aufstieg, Blütezeit und Niedergang der ersten europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Eine Kulturgeschichte von Handel und Wandel zwischen 13. und 17. Jahrhundert
Bern: Scherz, 1994
352 S., DM 48,-


Als Besonderheit finden sich bei Ziegler drei "Zeitzeugenberichte", die der Autor aufgrund unterschiedlicher Quellen (die er leider, wie auch in fast allen anderen Fällen, nicht nennt) erfunden hat. Diese mögen dem Laien die Lebensumstände im Mittelalter recht anschaulich machen, wirken aber deplaziert, da den Lesefluß und die Argumentation unterbrechend. Auch hier hätte ein Lektorat glättend eingreifen sollen. Auch einige unbelegbare Charakterisierungen, die durch diese sehr persönlich gefärbte Form des Berichtens verursacht sind, hätte ich dem Lesenden erspart.

Schließlich noch weitere gravierende Kritikpunkte: Ein Buch mit gleich zwei wortreichen Untertiteln sollte die dort angesprochenen Aspekte auch geschlossen abhandeln und die genannten Begriffe exakt definieren. Es stellt sich dann nämlich die Frage, was hier unter einer Wirtschaftsgemeinschaft zu verstehen ist und ob die Hanse tatsächlich die erste in Europa war. Und wieso läßt der Untertitel die Geschichte erst im 13. Jahrhundert beginnen, wo doch von Uwe Ziegler zu recht immer wieder auf die schnelle Entwicklung der Wirtschaftsgemeinschaft nach der dritten Gründung Lübecks 1159 hingewiesen wird? Nur weil der Begriff "deutsche Hanse" erst im 13. Jahrhundert überliefert ist? Dann müßte man auch hier - was im ganzen Buch fehlt - die Problematik der schweigenden Quellen diskutieren: Was nicht überliefert ist, kann deshalb doch existiert haben. Am Ende des Buches schließlich stiehlt sich der Autor geradezu aus seinem Werk - unvermittelt hört der Text auf, keine Zusammenfassung, kein Ausblick, keine abschließende Problematisierung der in den Untertiteln angedeuteten Probleme. Auch eine populäre Darstellung sollte dem lesenden Publikum Futter zum Nachdenken geben und nicht nur "abbilden". Geradezu zynisch wird der Autor wenn er von der Hinrichtung des Lübecker Bürgermeisters Wittenborg berichtet und meint: "Leider bleibt dieses Beispiel ohne Nachahmung in der europäischen Politik. So mancher Krieg hätte gewiß nicht stattgefunden, wenn der Verlierer zu Hause den sicheren Tod vor Augen gehabt hätte."

Zu den Schwächen des Textes gesellen sich die Probleme der Abbildungen. Ganzseitige Farbabbildungen sind in der Buchmitte eingeheftet und könnten Handel und Wandel im Mittelalter anschaulich darstellen. Aber - wie auch bei den in den Text eingestreuten, oft zu kleinen Schwarzweißgraphiken - Leserin und Leser werden hier allein gelassen. Historische Szenen erzählen dem heutigen Betrachter nicht viel oder, da die Zusammenhänge ihm unvertraut sind, sogar falsches. "Eine Kogge wird überholt" heißt die Textzeile unter einer Miniatur aus dem 15. Jahrhundert - eine gut ausgesuchte Abbildung, an der man vieles zeigen könnte, die jetzt aber wohl den Betrachtenden ratlos die Stirn runzeln läßt: Was machen z.B. die schwarzen Arbeiter in der Hanseumwelt? Wie aufschlußreich die berühmte Abbildung des Stalhofkaufmanns Georg Gi(e)se interpretiert werden kann, beweist Friedland (1991, S. 165) - hier liest man, welche Symbolsprache von Hans Holbein d.J. benutzt wird. Bei Ziegler erfährt man davon leider nichts.

Die Literaturliste ist knapp, enthält einige kuriose Titel ("Deutschlands Weine"), ist in den bibliographischen Angaben ungenau (ca. 41990) oder gar falsch (die 4. Auflage von Dollingers Hansebuch erschien nicht 1992, s.o.). Ein enttäuschendes Buch, um den Autor selbst zu zitieren: "Doch irgendwie gelingt es mir nicht, die Geschichte ... ordentlich zu erzählen." (S. 51)!

Wie es besser geht, auch wenn man sich an ein breites Publikum wenden will, zeigt der schmale Band von Nis R. Nissen.


Nis R. Nissen
Hanse zwischen Eider und Oder
Heide: Westholsteinische Verlagsanstalt Boyens & Co., 1994
112 S., DM 34,-


Zwar finden sich auch hier kleine Sachfehler (zum Beispiel darf sich Lübeck heute nicht mehr "Freie und Hansestadt" nennen, die Freiheit wurde der Königin der Hanse während der faschistischen Herrschaft in Deutschland genommen), aber gerade im Bildteil zeigt sich die Stärke dieses Werkes. Hier werden die im Heft großzügig verstreuten, oft farbigen und großformatigen Abbildungen ausführlich erläutert und stehen am richtigen Ort im Textzusammenhang. Ein zur ersten Einführung prächtig geeigneter Band, der zum geruhsamen Nachdenken und Betrachten einlädt, nicht mit Informationen überfrachtet, aber doch alle wesentlichen Entwicklungen der Hanse zwischen Schleswig-Holstein und Mecklenburg berücksichtigend.

Mit Norwegen stand ebenfalls ein regionaler Schwerpunkt im Zentrum einer Tagung, die 1992 in Kiel stattfand und deren Vorträge 1994 in den Kieler Werkstücken, Reihe A veröffentlicht wurden.


Volker Henn/Arnved Nedkvitne (Hgg.)
Norwegen und die Hanse
Wirtschaftliche und kulturelle Aspekte im europäischen Vergleich
214 S., DM 65,-


Dieser Sammelband ist aber leider eine unausgegorene Mogelpackung. Gemogelt wird im Titel (von den zehn Aufsätzen beschäftigen sich nur vier tatsächlich mit Norwegen), aber auch in der Qualität und der Form der Beiträge. Einige sind offensichtlich eher dürftige Wiedergaben der Vortragsmanuskripte von etwa zehn Seiten (Nedkvitne über die Bedeutung des Hansehandels für Norwegen, Greve zu den Brügger Hosteliers), andere mit Anmerkungen, illustrierenden Anhängen und Quellen überbordende, eigenständige wissenschaftliche Veröffentlichungen (Holbach zu den flandrischen Tuchproduzenten, Jenks zu den Hansen in England). Weitere Aufsätze behandeln sprachhistorische (Dalen), personengeschichtliche (Deeters) Probleme sowie die Situation der Hanse in der Rus (Schubert, Angermann). Zwei Beiträgen sind Abbildungen beigefügt, die aufgrund der schlechten Druckqualität viel an ihrer Aussagekraft verlieren. Leider fehlt jede Art von Register, eine geschlossene Literaturliste am Ende des Bandes hätte den Gebrauchswert dieses Bandes erhöhen können. Eine insgesamt unglückliche Collage thematisch und qualitativ sehr unterschiedlicher Beiträge. Der von den Herausgebern beklagte völlig unbefriedigende Forschungsstand auf dem Gebiet der Hanse konnte jedenfalls durch diese Tagung wohl kaum entscheidend verbessert werden.

Etwas anders sieht die Situation im zweiten zu besprechenden Tagungsband zur Hanse im deutschen Osten aus. Die zugrundeliegende Tagung fand zwar schon vor fast zehn Jahren 1987 in Lüneburg statt, die dort gehaltenen Vorträge können aber noch heute als verläßliche Überblicke über ihren Gegenstand herangezogen werden.


Norbert Angermann (Hg.)
Die Hanse und der deutsche Osten
Lüneburg: Nordostdeutsches Kulturwerk, 1990
169 S., DM 50,-


Die Vortragenden setzten sich zum größten Teil gar nicht zum Ziel, neue Forschungsergebnisse zu präsentieren, sondern bemühten sich mit Hilfe der genauen Betrachtung der Literaturlage, ihr Thema vollständig zu präsentieren und Arbeits- und Diskussionsschwerpunkte für künftige Untersuchungen aufzuweisen. Einleitend referiert Hoffmann "Die Anfänge des deutschen Handels im Ostseeraum" und Graßmann streicht die besondere Rolle Lübecks auch für den deutschen Osten heraus. Witthöft belegt mit Hilfe zahlreicher Tabellen die Wichtigkeit des Lüneburger Salzes für den Ostseeraum. In einem vorzüglich illustrierten Beitrag stellt Jäger die Entwicklung der Kartographie in der Hansezeit dar. Weitere Aufsätze von Theuerkauf (Brandenburg und Böhmen), Arnold (Preußen), Angermann (Livland) und Weczerka (Südostbeziehungen) behandeln regionale Aspekte der Hansegeschichte.

Leider fehlt auch in diesem Band ein Register oder ein Literaturverzeichnis - die in den umfangreichen Anmerkungsapparaten versteckten Angaben zusammen zu suchen ist doch etwas mühsam. Da viele der Aufsätze Überblickscharakter haben, hätte ein geschlossener Hinweis auf die wichtigste Literatur dieses Buch noch besser als Grundlagenwerk nutzbar machen können. Aber auch ohne dem bieten die Beiträge eine lohnende Lektüre, trotz ihres Alters.

Noch älter ist der abschließend zu besprechende Band, der die Biographie einer der schillerndsten Hansepersönlichkeiten aufarbeitet. Die Arbeit über den Lübecker Bürgermeister Jürgen Wullenwever von Günter Korell erschien bereits 1980 in der DDR und stellt sein Wirken in den Rahmen der Konflikte zwischen der Hanse und den Nationen Nordeuropas.


Günter Korell
Jürgen Wullenwever
Sein sozial-politisches Wirken in Lübeck und sein Kampf mit den erstarkenden Mächten Nordeuropas
Weimar: Hermann Böhlaus Nachfolger, 1980
137 S., DM 48,-


In einem ausführlichen Einleitungskapitel gibt Korell eine Übersicht über die Forschungslage, in der die stark divergierenden Meinungen über den revolutionären Veränderer der Machtverhältnisse in Lübeck bzw. den riskanten außenpolitischen Abenteuern anhängenden Intriganten deutlich werden. Dabei wird auch greifbar, wie die Hanseforschung insgesamt bis ins 20. Jahrhundert hinein stark von nationalromantischen Zügen, ja sogar von maritim-imperialen Träumereien bestimmt wurde. Gleichzeitig aber erfährt man etwas über die prekäre Quellenlage zur Geschichte der Hanse im Beginn des 16. Jahrhunderts. Zu wenige Quellen sind überliefert, einige nicht mehr im Original, sondern nur noch aufgrund von Quellenpublikationen des 19. Jahrhunderts interpretierbar. Hinzu kommt die für den damaligen DDR-Historiker bestehende Schwierigkeit, westliches Archivmaterial einzusehen.

Diese prekäre Situation wird besonders deutlich im Kapitel zur Sozialstruktur Lübecks: Das auswertbare Zahlenmaterial ist sehr dürftig, Analogschlüsse aufgrund der Ergebnisse aus anderen Hansestädten bleiben problematisch, da Lübeck ja gerade eine Sonderrolle an der Ostsee spielte. Insofern sehe ich die hier vorgelegte soziale Schichtung, die ein starkes Anwachsen der plebejischen Schichten zeigt, als zwar wahrscheinlich, aber kaum eindeutig belegbar an. Das Quellenproblem zieht sich durch die ganze Arbeit: Allzu oft muß der Autor sich auf Aussagen der wissenschaftlichen Literatur (besonders Waitz) des letzten Jahrhunderts berufen, muß dortige Interpretationen für seine Argumentation übernehmen, ohne sie auf Grundlage von Primärquellen belegen zu können. Verständlicherweise bleibt so auch das Bild von Wullenwever selbst im Buch seltsam konturlos.

Größeres leistet die Untersuchung, wenn man sie als Überblick zur Position Lübecks in den nordeuropäischen Kräftefeldern nutzt. Für diesen Zweck stellt Korell hier alle notwendigen Informationen über Verhandlungen, Koalitionspartner, Handels- und Herrschaftsinteressen zusammen. Schade, daß auch hier wieder hilfreiche Register fehlen!