Autor: © Reinhold Wulff

Mit Verspätungen wurden am 1.11.1993 die Europäische Union und am 1.1.1994 der Europäische Wirtschaftsraum auf den Weg gebracht. Der deutsche Buchmarkt hat sich mit zahlreichen Publikationen auf die veränderte politische Situation eingestellt - und dabei die Staaten Nordeuropas, die ab 1995 Mitglied der EU werden sollen, stiefmütterlich behandelt.


Portrait der Regionen
Band 1: Deutschland, Benelux, Dänemark.
Brüssel/Luxemburg: Amt für amtliche Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaften, 1993
292 S., ECU 100,-.

Gérard Mermet
Die Europäer
Länder, Leute, Leidenschaften.
Aus dem Französischen übersetzt und bearbeitet von Fritz R. Glunk.
München: dtv sachbuch 30340, 1993
366 S., DM 19,80.

Statistisches Bundesamt (Hrsg.)
Länderbericht Europäischer Wirtschaftsraum
Wiesbaden: J.B. Metzler/C. E. Poeschel, 1992
141 S., DM 36,-.

Werner Weidenfeld und Wolfgang Wessels (Hrsg.)
Europa von A - Z
Taschenbuch der europäischen Integration.
Bonn: Europa Union Verlag, 2. erweiterte und aktualisierte Auflage 1992
416 S., DM 19,80.

Oscar W. Gabriel (Hrsg.) unter Mitarbeit von Frank Brettschneider
Die EG-Staaten im Vergleich
Strukturen, Prozesse, Politikinhalte.
Opladen/Wiesbaden: Westdeutscher Verlag, 1992
639 S., DM 46,-.

Michael Brückner, Roland Maier und Andrea Przyklenk
Der Europa-Ploetz
Basiswissen über das Europa von heute.
Freiburg: Verlag Ploetz, 1993
464 S., DM 68,-.


Wie wenig Bedeutung dem Norden beigemesssen wird, demonstriert die Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Ihr unglaublich teures (etwa DM 500,- für die insgesamt drei Bände!) Werk Portrait der Regionen behandelt im ersten Band auch Dänemark. Nun könnte man Erläuterungen zu den Regionen Schleswig/Jütland oder wichtiger noch die Öresund-Region (Kopenhagen-Malmö-Lund) erwarten - aber weit gefehlt. Auf den fast 300 Seiten werden Dänemark nur neun Seiten gewidmet - eine weniger als Luxemburg, vierzig Seiten beschäftigen sich mit Belgien, 75 mit den Niederlanden. Auf nur sieben Textseiten (die beiden anderen enthalten Bibliographien und Anmerkungen) lohnt es sich natürlich nicht, Dänemark noch in kleinere Regionen aufzuteilen, lediglich Grönland (deren EG-Austritt 1985 erwähnt wird) und die Färöer (bei denen nicht gesagt wird, daß sie nie Mitglied wurden) werden als besondere Gebiete unter der dänischen Krone erwähnt. Nicht nur die geringe Seitenzahlt zeigt, daß man sich mit dem kleinen Land im Norden Deutschlands nicht viel Mühe gemacht hat. Die historische Einleitung zum Beispiel ist von frappierender Trivialität:

Dänemark ist seit etwa 800 vor Christus, der Zeit der Wikinger, ein Königreich. Zeitweise gehörten Norwegen, Island, Schweden, Estland und sogar Teile der britischen Inseln zu Dänemark, zu anderen Zeiten war das Land wiederum viel kleiner. (!)

Kein gutes Licht auf diesen u.a. vom Statistischen Amt der EG bearbeiteten Band wirft es, wenn man nicht in der Lage ist, die dänischen Erwerbstätigenzahlen anzugeben. Fazit: Bloß keine kostbaren ECU für dieses Buch ausgeben!

Ganz billig kommt man an den dtv-Band Die Europäer, im Januar 1993 rechtzeitig (und dann doch zu früh) zum geplanten Inkrafttreten der Maastrichter Verträge erschienen. Aber Vorsicht - es handelt sich hierbei um eine Mogelpackung. Die Originalausgabe ist nämlich bereits 1991 (Redaktionsschluß 1990) bei Larousse in Paris erschienen, die deutsche Fassung verspricht zwar, eine bearbeitete zu sein, aber dieses Versprechen wird nur teilweise eingelöst. Weder sind die Daten konsequent aktualisiert worden (oft findet man statistische Angaben aus den Jahren 1985 bis 1987, die also zum Zeitpunkt der deutschen Veröffentlichung bereits acht bis sechs Jahre alt waren), noch hat man sich durchgehend bemüht, die frankophone Orientierung auszugleichen - oder zumindest, Undeutlichkeiten und Fehler Deutschland betreffend auszumerzen. So wird der Bundespräsident nicht von Bundestag und Bundesrat gewählt (S. 67), sondern von der Bundesversammlung (richtig auf S. 290), DFF 1 und 2 gab es schon 1992 nicht mehr, Veränderungen nach der deutschen Vereinigung werden insgesamt recht zufällig berücksichtigt.

Während die Angaben zu Deutschland trotz allem noch weitgehend verläßlich sind, wird dem armen Dänemark wieder übel mitgespielt. Es verwundert kaum, daß dänische Eigennamen falsch übersetzt oder geschrieben werden (Smorrebrod, Pebernodder und Kalbshirn-Pfannkuchen essen Dänen in jeder ihrer Grafschaften leidenschaftlich gern, nach der Mahlzeit lesen sie dann Belingste Tidende, es sei denn, sie leben auf den Färöer-Inseln), auch Daten und Fakten werden kurios verfälscht (siehe unsere Preisaufgabe im Kasten). Trotz aller Kritik: Man findet hier eine Menge Informationen, die man vielleicht schon immer gesucht hat - nur die Zuverlässigkeit der Daten erscheint etwas fragwürdig. Sicherheitshalber sollte man im Länderbericht Europäischer Wirtschaftsraum Zahlen und Werte überprüfen, zumal hier die Angaben in der Regel aus den Jahren 1990 oder 1991 stammen.

Zum Nachschlagen gedacht ist das Taschenbuch zur europäischen Integration, das bereits in zweiter Auflage vorliegt. Nach einer umfangreichen, historisch angelegten Einführung in die europäische Einigungsbewegung folgen in alphabetischer Anordnung wichtige Begriffe aus europäischen Zusammenhängen, dabei auch so vielfältige und umstrittene wie "Deutsche Einigung und europäische Integration" oder "Europa der Frauen". Auf sechs Seiten werden EFTA und EWR abgehandelt, auf eben so vielen Mittel- und Osteuropa. Nordeuropa als eigenes Stichwort fehlt hier leider, man muß sich mit Hilfe des Sachregisters die Hinweise auf den Norden in einzelnen Stichworten selbst zusammensuchen, Schweden taucht dabei nur dreimal auf und wird an den entsprechenden Fundstellen nur in Nebensätzen erwähnt. Ein ABC in Stichworten sowie eine Zeittafel runden den Band ab, der ein erfreulich themenumgreifendes Nachschlagewerk darstellt, auch wenn Nordeuropa unterbelichtet bleibt.

Die EG-Staaten im Vergleich kann natürlich nur Dänemark als bisher einziges nordisches Mitglied behandeln. Im Sammelband werden aber sowieso nicht einzelne Staaten untersucht, sondern konsequent und tiefgründig werden Strukturen der europäischen EG-Mitgliedsstaaten analysiert, Unterschiede und Ähnlichkeiten aufgezeigt und teilweise Prognosen gewagt. Im ersten Teil werden Rahmenbedingungen der Politik untersucht. Drei Aufsätze befassen sich mit dem Verfassungsrecht, den Sozialstrukturen und der politischen Kultur. Im zweiten Teil werden politische Konflikte betrachtet. Im einzelnen werden Wege der politischen Partizipation, der Wahlsysteme, des Parteienwettbewerbs, der Parteiorganisation, der Interessenverbände und der Massenmedien analysiert. Der dritte Teil widmet sich Parlament und Regierung. Im letzten Teil werden in etwa 150 Tabellen Materialien, teilweise in synoptischer Form, zu den Staaten der EG präsentiert. Diese stellen eine wahre Fundgrube für politische und wirtschaftliche Vergleiche zwischen den EG-Staaten dar. Den Abschluß des Buches bildet ein sehr knappes Glossar wichtiger Fachbegriffe. Ein für Politikwissenschaftlicher unentbehrliches Werk zum Studium europäischer Verhältnisse.

Auch der ehrwürdige Ploetz-Verlag versorgt die Bürgerin und den Bürger mit Basiswissen über das Europa von heute. Hier findet man in Kapiteln von zwischen etwa zwei und dreißig Seiten Länge sowohl Übersichtsartikel zu den europäischen Zusammenschlüssen wie Europarat, EG oder Nordischer Rat, als auch einen Exkurs zur Neutralitätsproblematik als "Modell ohne Zukunft". Schon hier wird auf die Positionen Schwedens und Finnlands eingegangen, ausführlicher wird deren Beziehung zur EG im folgenden Kapitel "Die Warteliste der EG" erläutert. Island wird im nächsten Abschnitt als einer der "Sonderfälle" am Rande Europas analysiert. Diese Länderartikel zu den (noch) außerhalb der EG/EU stehenden Staaten geben gute Einblicke in die Diskussionen innerhalb der jeweiligen Länder, da sie zum großen Teil auf aktuellen Äußerungen von Landespolitikerinnen und -politikernn aufbauen. Allerdings wird schon aus den Kapitelüberschriften deutlich, von welcher Perspektive aus das Buch geschrieben wurde: Die Mitgliedschaft in EG/EU gilt dem Autorenteam offensichtlich als auf jeden Fall erstrebenswertes Ziel, alles andere Verhalten wird als Sonder- oder Problemfall abgehandelt. Deutlich wird dieser Standpunkt, wenn sich Verhandlungen zwischen EG und "EFTA mehr oder weniger erfolgreich dahingeschleppt" haben (S. 118) oder der Abschluß des EWR-Vertrages "im Jahre 1991 über Gebühr verzögert" wurde,denn "Island weigerte sich standhaft, den EG-Ländern Fischfangrechte in seinen Gewässern einzuräumen" (S. 187).

Die Autorin und dieAutoren schöpfen im übrigen nur aus deutsch- und englischsprachigen Arbeiten zu Nordeuropa, ihre Literaturgrundlage ist hier sehr dünn. So kommt es nicht nur zu Mißverständnissen hinsichtlich der finnischen Außenpolitik (das Schlagwort "Finnlandisierung" wird zwar problematisiert, aber doch argumentativ verwendet), sondern auch zu sehr verkürzten geschichtlichen Übersichten. Für den finnisch-sowjetischen sogenannten "Fortsetzungskrieg" ab 1941 reicht es wohl nicht zu schreiben: "Finnland und die Sowjetunion steuerten auf einen neuen Krieg zu. Am 25. Juni 1941 griffen sowjetische Kampfflugzeuge finnische Ziele an" (S. 157), denn schließlich war bereits vorher Finnland von deutscher Seite im Rahmen der "Operation Barbarossa" als Bündnispartner benannt worden. Ein weiteres Manko sind die häufigen Wiederholungen innerhalb eines Kapitels, hier hätte ein Lektorat den Text straffen und damit auch präzisieren können. Trotz dieser punktuellen Kritik bleibt ein insgesamt positives Urteil. Mit den thematischen und staatlich organisierten Kapiteln, der umfangreichen Chronologie europäischer Nachkrieggeschichte und dem Materialienteil mit Gesetzestexten aus den europäischen Zusammenschlüssen stellt der Europa-Ploetz den schnellsten und weitestgehend zuverlässigen Zugriff zum Europa der EG/EU dar. Trotz des vergleichsweise hohen Preises eine empfehlenswerte Anschaffung.